Dorfleben
Die unter diesem Titel zu lesenden Zeilen wurden
von meinem „Onkel Seff“, Josef Hlawatsch, in den Jahren 1959 bis 1963
in den „Olmützer Blättern“ in monatlicher Folge veröffentlicht und
sollten einen Überblick geben über das Dorf Nimlau, seinen Bewohnern,
deren Lebensweise im jährlichen Ablauf und nicht zuletzt Eindrücke aus
seiner familiären und persönlichen Umgebung. Da die letzten Zeitzeugen
dieser Generation nicht mehr unter uns weilen ist es, glaube ich, umso
notwendiger dieses Wissen nachfolgenden Generationen zugänglich zu
machen und nicht im großen Papierkorb der Geschichte verschwinden zu
lassen.
Mein „Onkel Seff“ schrieb also:
Meine lieben Nimlauer
1. Kapitel
Verzeihet mir, wenn ich heute um ein wenig
Aufmerksamkeit bitte. Ich habe mir vorgenommen und will es auch
versuchen, euch einen kleinen Abriss allen Tuns und Treibens, allen
Spiels und aller Arbeit unseres alten Heimatortes Nimlau zu geben. Wir
wollen uns, alt und jung, die Bilder vor die Augen führen, die uns an
alles Gute und Schöne, aber auch an schlechte Zeiten erinnern.
Es liegt mir fern, gleich zu Anfang die schwerste Zeit unseres Lebens,
ich meine die Zeit, als wir um alles Hab und Gut gebracht, Austreibung
aus unserer alten Heimat, in unserem Herzen wachzurufen. Aber wir
können nicht anders und wir kommen auch nicht darüber hinweg. Wir
müssen es als unsere heilige Pflicht betrachten, an unsere Heimat und
den Ort zu denken, in dem einst unsere Wiege stand. Hilflos und
trostlos war damals die Zeit als wir um alles Hab und Gut gebracht
wurden und in den öden, von Grauen gezeichneten Dörfern nur
beutegierige Elemente herumschlichen. Die in Kellern, auf Dachböden, in
den Scheunen und auch im Getreide der Felder verborgenen Menschen
hatten nur mehr eine Sehnsucht: Leben und Freiheit zu retten.
Die Bilder jener Zeit sind heute fast verblasst, denn die, welche das
schwerste Leid jener Tage tragen mussten, unsere Eltern und Großeltern,
sind heute nicht mehr unter uns Lebenden. Sie wurden ein frühes Opfer
dieses furchtbaren Geschehens.
Ich werde mich bemühen, in den weiteren Nummern das, was ich vom
Zuhause aufbehalten habe, auch in der Mundart (Nimlauerisch)
wiederzugeben. Es würde mich freuen, wenn sich jemand aus Nimlau finden
würde, der mir dabei ein wenig helfen könnte. Hat jemand gute Bilder
von Nimlau, so wäre es gewiss schön, wenn er sie mir zur Verfügung
stellen würde; nach dem Abdruck werden sie wieder zurückerstattet.
Bevor ich aber mit den eigentlichen Ausführungen in der nächsten Nummer
beginne, wollen wir erst gemeinsam unseren Gefallenen und Vermissten,
der Väter, Söhne und Brüder gedenken. Wofür sie sich geopfert haben
wissen wir nicht, aber für uns sind sie nicht tot. Wir, die ganze
Gemeinde Nimlau, wollen ihnen in unseren Herzen für immer ein treues
Angedenken bewahren. Die fremde Erde sei ihnen leicht!
2. Kapitel
Viele Großeltern, Eltern oder deren Kinder träumen nicht mehr von der
alten Heimat oder sind heute nicht mehr in der Lage, sich nur eine
kleine Vorstellung von ihr zu machen. Ich aber werde in der nächsten
Nummer eure Gedanken nach Hause führen.
Es war einmal. Diese drei Worte klingen wie aus dem Märchen, aber es
ist und es war kein Märchen. Meine Lieben, ich darf es wohl sagen: auch
wir hatten einmal eine Heimat und ein Heim. Ich weiß: die jungen Bürger
der Gemeinde Nimlau sind heute zum größten Teil verheiratet und viele
von ihnen mit einem „Altbürger“ wie man hier sagt. Die haben bestimmt
kein Verlangen mehr, die alte Heimat auch nur in Gedanken noch
wiederzusehen, sie haben schon eine „neue Heimat“ gefunden. Es möge
ihnen in der Zukunft nur alles Gute beschieden sein. Ihre Vorhaben
sollen ihnen für immer blühen und gedeihen. Die alte, wetterfeste
Generation aber muss ertragen, was ihr vom Schicksal auferlegt wurde.
Ein jedes Dorf, das einst „ausgesiedelt“ wurde, ist im ganzen
Bundesgebiet zerstreut worden und das ist das schlimmste Unglück. So
gibt es viele Bürger der Gemeinde Nimlau, die sich seit der Vertreibung
nicht mehr sehen konnten, ja, man weiß gar nicht, wo sie wohnen und ob
sie überhaupt noch am Leben sind. Man begegnet oft jungen Leuten aus
Nimlau und man kennt sie gar nicht. Mir ging es schon so.
In Vorjahr stand ich am Schlossplatz in Stuttgart und wartete auf die
Straßenbahn. Da kam ein junges Ehepaar auf mich zu. Die Frau reichte
mir die Hand und sagte: „Grüß eich Gout Lawatsch-Vetter!“ Auch der Herr
tat dasselbe und ich gab den Kindern meine morsche Hand und sagte auch:
„Grüß eich Gout!“ Ich stand da und dachte nach, wer die beiden wohl
sein mögen. „Ihr seid mir nicht fremd“ sagte ich, „nur weiß ich euren
Namen nicht.“ Ich bin die Tochter vom Schenk Richard, den Vorsteher aus
Nimla und dos is mei Mohn, dos i a Atzler, a Suhn von Atzler Franz bei
de Schul.“ So, jetzt ho ich’s gewusst wer sa sein. Jetzt sah ich die
beiden in Gedanken wieder: Er wor a Atzler Kerla und sie wor a Schenk
Madl.
Und so wird es wohl schon manchem Nimlauer gegangen sein. Wir wollen
versuchen, uns untereinander nicht fremd zu werden und wollen jedem
Vetter oder jeder Basel, wo wir sie auch treffen mögen ein herzliches
„Grüß eich Gout!“ sagen. Denn schön war daheim die Zeit, gut und
gemütlich waren die Leute zu Hause, ob Bauer oder Handwerker, ob
Schuster oder Schneider, alle haben sich gut vertragen. (In den besten
Familien gibt es einmal einen Krach). War es bei der Arbeit oder beim
Spiel oder beim Tanz oder in der Liebe, es war immer ein jeder bereit,
dem anderen auszuhelfen. Und wer dieses alles in der Heimat erleben
konnte der sagt heute. Ja, es war einmal! Kinder, wie die Zeit vergeht,
beinahe sind dreizehn Jahre vergangen und wir, die wir hier in der
„neuen Heimat“ leben, mussten uns fremde Menschen suchen, um mit ihnen
Freud und Leid zu teilen. Es ist zwar nicht wie zu Hause, aber es kann
ja gar nicht so sein. Wir älteren Menschen sind mit der alten Heimat zu
sehr verwachsen und darum für die Jungen „zu alt“ und so können wir uns
der jungen Welt nicht mehr anpassen. Kummer und Sorgen nach der
Austreibung hat jede Spur von Frohsinn begraben, ein jeder war auf der
Suche nach Brot und Arbeit beschäftigt und war das nicht eine bittere
Zeit? Auch das ist vorüber gegangen und heute ist alles ganz anders.
Ein jeder, den ich getroffen habe, hat an Körpergewicht zugenommen. Das
bedeutet, dass es ihnen gut geht, dass sie zufrieden und glücklich
sind. Sind sie es auch wirklich?
3. Kapitel
Heute wollen wir versuchen, uns im Geiste in Nimlau zu treffen.
Treffpunkt ist das Gemeindehaus. Es würde mich wirklich freuen, euch
alle, jung und alt, in Nimlau wiederzusehen. Meine Lieben, es wird euch
keinen Pfennig kosten, ihr braucht nur die „Olmützer Blätter“ zur Hand
zu nehmen und ein wenig mitzumachen. Was ich hier zu Papier bringe habe
ich selbst erlebt, gesehen und gehört. Auch sind Erinnerungen dabei an
die gute alte Zeit, Erinnerungen mit viel Witz und Humor und manchmal
so recht Nimlauerisch. Auch werden oft die alten Ansassen aus Nimlau in
Erscheinung treten, die sich immer so benahmen, wie es sich für einen
echten Nimlauer ziemte. Sie sind zwar heute nicht mehr am Leben, aber
ich kann und darf auch sie nicht vergessen. Sie waren es ja, die uns
die alten Sitten und Gebräuche gelehrt haben, um sie zu pflegen und
unseren Kindern zu überliefern. Weil wir an der Übung dieser Tugend
gehindert werden, müssen wir die Erinnerung daran bei jeder sich
bietenden Gelegenheit wachrufen.
So, meine lieben Nimlauer, so weit ihr im Besitz der „Olmützer Blätter“
seid, kann ich mit eurer Mitwirkung rechnen. Zuvor einen aufrichtigen
Gruß an euch alle, ein kräftiges „Grüß eich Gout“. „ Wies´s daheim war
find´st du´s nimmer“ wurde schon damals von den Nimlauer Sängern
gesungen, noch unbewusst dessen, was das Schicksal alles mit uns
vorhatte. Es sind noch viele, besonders die Alten, die noch immer
vergebens suchen. Es war einmal, das find´st du nimmermehr!
Wollen wir nun beginnen. Die vielen Bilder aus Nimlau kann ich
nacheinander vor Augen führen, wenn ich auch leider behaupten muß, dass
nicht alle Nimlauer das Ausmaß der Gesamtfläche und deren Grenzen
kennen und auch ich bin hier nicht in der Lage, genaue Angaben zu
machen. Aber ich will es versuchen, euch die Grenzen unseres Dorfes in
groben Zügen aufzuzeigen.
Wir brauchen dazu einen Ausgangspunkt und dieser wäre die
Eisenbahnbrücke. Wir gehen auf Gießhübel zu, die Hock hinauf und kommen
auf den Fußsteig, der zum Goldberg führt. Das Fort steht auf Nimlauer
Grund, wir kommen zum Kreuz, das wohl die Grenze zwischen Nimlau,
Schnobolin und Nedweis ist, wir gehen weiter nach links und ganz knapp
an Nedweis vorbei und kommen zur Marter die auf dem Feld vom Kluger
Richard stand. Von hier aus kommen wir im Hohlweg hinter die
Runsenhindern zum kleinen Fluss (die Blattetz). Dann geht es bis zu den
Zulusfeldern und dem Böhmischen Berg hoch bis zu den Buschäckern und
Richtung Wächterhaus zu, über die Bahn zu den Schafferswiesen hinunter
und von da aus direkt zum Vorflutgraben. Der führt zur Straße und von
da aus geht die Grenze zur March sowie den Fluß aufwärts bis zur
Neustifter (zur Kaiserlichen) Brücke. Die Dörrich-Mühle (später
„Dehet“) steht wieder auf Nimlauer Grund. Wir gehen dann weiter
rückwärts entlang der Neustifter Gärten bis zu den Feldern Nebenanger,
von da aus geradeaus zum Nimlauer Teich, bei den tschechischen Häusern
und hinter Strnisko Adolfs Garten wieder hinauf zu Eisenbahnbrücke.
Wollten wir den Weg einmal gehen, so würden wir dazu 5 bis 6 Stunden
benötigen. Wir haben 3000 Metzen, also ein ganz schönes Stück Land auf
unserem Erdball, umwandert.
Ich will euch heute nicht länger aufhalten. Ich weiß, dieser Weg war
sehr anstrengend und für viele sicher uninteressant, aber es kommt ja
alles anders! Auf jeden Fall bin ich euch recht dankbar für die Mühe
und Aufmerksamkeit.
4. Kapitel
Ich glaube, der lange Weg bei der Begehung der Grenzen und Felder von
Nimlau in der letzten Nummer hat euch angestrengt, aber werdet nur
nicht müde, denn es kommt ja heute wieder besser und wir können
beisammensitzen und plaudern! Ich habe Landsmann Archivar J. Röder
gebeten, mir einige Daten aus der Vergangenheit von Nimlau mitzuteilen.
Er gab mir zu wissen, dass ihm nach dem Krieg, was er im Laufe von 30
Jahren zusammengetragen hatte, vernichtet wurde. Aber doch war es ihm
möglich, mir und euch allen einen Bruchteil dessen aus dem Gedächtnis
heraus mitzuteilen. Wir wollen Landsmann Röder hierfür unseren Dank
aussprechen. So kann ich euch in den nächsten Nummern je nach Thema
hiervon verschiedene Nachrichten bekannt geben. Ich sehe mich daher
veranlasst, nicht nur einige, sondern einige hundert Jahre
zurückzugreifen. Jetzt weiß ich etwas und ihr sollt es auch erfahren,
dass schon im Jahre 1131 Nimlau erstmals genannt wurde. Es liegt 208
Meter über dem Meeresspiegel und hatte ein Gesamtausmaß von 677 Hektar.
Die Gemeinde gehörte seit dem Jahre 1386 zu Olmütz und wurde im Jahre
1402 ausdrücklich als Olmützer Stadtgut bezeichnet. Nimlau, Gießhübel
und Schnobolin hatten schon in der ältesten Zeit eine gemeinsame
Hutweide. Wie es so oft auf dem Lande vorkommt, vertragen sich die
weidenden Tiere nicht oder sind auch deren Eigentümer nicht einig. So
entstand auch hier ein großer Streit, der im Jahre 1555 durch einen
Vergleich der Grundherren (dem Bischof Markus Kuen und dem Olmützer
Rat) geschlichtet wurde. Diese gemeinschaftliche Hutweide wurde im
Jahre 1558 geteilt und von da an hatte jede Gemeinde ihre eigene
Hutweide. Auch mit den Koschuschanern hatte Nimlau eine gemeinsame
Hutung, die zum Streite führte, der ebenfalls im Jahre 1558
geschlichtet wurde. Der Nimlauer Hutweidenanteil betrug im 18.
Jahrhundert hier 101 Metzen, die auf 29 Bauern und 14 Gärtler
aufgeteilt wurden.
Meine Lieben, wir selbst haben ja in unseren Jahren eines großen
Unglücks gedenken können. Vielleicht können sich die älteren Einwohner
von Nimlau noch an das Jahr 1913 erinnern, da sie der im Jahre 1613
ausgebrochenen Pest, die den größten Teil der Ortsbewohner
hinweggerafft hatte, mit Trauer gedachten. Die Gemeinde hatte einen
Gedenktag anberaumt, der mit einem Gottesdienst in der Ortskapelle
eingeleitet wurde, an dem sich die ganze Ortsbevölkerung sowie die
Nachbargemeinden beteiligten. Nach der Heiligen Messe begaben sich alle
Beteiligten in einer Prozession zur Maria-Säule (auch Pest-Säule
genannt) einer Statue, die wohl im Freien aber im Sommer von blühenden
Getreide umgeben, sich am Wegrand des von Nimlau nach Neustift durch
die Wiesenäcker führenden Feldweges befand.
Diese Säule, auch Mariahilf-Statue genannt stand beim Hohen Rand.
Auf der Südseite der Säule, ungefähr in Mannshöhe befand sich folgende
Inschrift: „Gott undt der allerheyligsten Jungfraw Maria zu Ehren ist
diese Saul aufgerichtet worden anno 1713“. Dieses Standbild bildete
seit jeher für den Heimatforscher und Kunstkenner ein Rätsel. Während
die schön gegliederte und kunstvoll proportionierte Säule im Stile der
Spätrenaissance geschaffen ist, entstammt die Statue der Maria dem
Barock. Die Beschreibung der kirchlichen Denkmale im Schnoboliner
Pfarrarchiv wusste darüber nichts zu berichten.
Der Redakteur.
Durch eine Ansprache und einen Rückblick in die Vergangenheit des
damaligen Gemeindevorstehers Andreas Strnisko sowie ein Gebet und eine
Fürbitte zu Gott um die Bewahrung des Dorfes vor einer Wiederkehr der
Pest des Kaplans P. Urbisch aus Schnobolin fand der Gedenktag einen
würdigen Abschluß. Über die Marie- oder Pestsäule hörte ich die
folgende Legende: Ursprünglich hatte Maria ihr Antlitz dem Dorfe
zugewendet, aber nach einem Geschehnis im Neustifter Kloster (?) soll
Maria ihren Blick mahnend gegen die Neustifter gewendet haben. Als wir
die Heimat verlassen mussten, hatte sie ihr Gesicht noch immer der
Neustift zugewendet.
5. Kapitel
Ich habe euch in der letzten Nummer von der 300. Wiederkehr
eines Gedenktages berichtet, welcher im Jahre 1913 begangen worden ist.
Im Jahre 1613 fiel fast die gesamte Ortsbevölkerung der Pest zum Opfer.
Zwar konnte ich mir niemals ein klares Bild von dem Ausmaß der
Katastrophe machen, aber wir alle können mit Bestimmtheit annehmen,
dass die Bevölkerung Nimlaus vor der Pest zur Gänze deutscher
Abstammung war.
Unser Landsmann Josef Hlawatsch hat vollkommen recht: Die Bewohner
Nimlaus waren von Anbeginn an deutscher Abstammung. Aus dem Mittelalter
sind uns folgende Personennamen in Nimlau bekannt: 1413 Habrknapp
Hannes, 1414 Simon Paul und Georg, 1420 Herbst Wenzel, Kremer Niclas,
Meisner Johannes, Preytschuch Wenzlaw, Schilling Wenzel, Trübskorn
Wenzel, 1437 Tebner Hannes, 1446 Engilman Peter, Hensel Paul, Jung
Schkoda (?), 1454 Aytelpös Hannes, Altsentag Wenczlaw, Braytschueppel
Andreas, Göschel Niclas, Langnickl Bartl, Prokob Peter, Symer Merten,
Treuer Niclas, Weigl Steffan, 1456 Lang Wenczlaw, Schindlr Matz, Tebner
Paul, 1458 Seifert Benesch (Kretschmer), 1466 Reimer Girg. Im Jahre
1606 saßen folgende Wirte auf den Bauerngründen: Blahe Franz, Endl
Nickl, Gulde Bastel, Gulde Urbe, Grames Girg, Graupe Linhard, Henne
Nickl, Husler Matz, Husler Paul, Holay Kristoff, Khefer Paul, Khandl
Nickl, Kraupe Girg, Liendl Thoma, Ledl Girg, Maulkorb Matz, Moyses
Thoma, Olyscher Valten, Pawelka Paul, Perl Girg, Perl Matz, Peter
Ludmilla, Prauser Anna, Sauer Bartl, Sommer Matz, Sperling Blasi,
Schenck Apollonia, Schenck Bartl, Schworz Albrecht, Till Lorenz, Ullmon
Filip. (Julius Röder)
Ich will mich nur auf einige Familiennamen wie Kluger, Melzer, Sach,
Steffe beschränken. Es besteht aber auch kein Zweifel, dass damals bei
der Wiederauffüllung des Orts bzw. bei der Neubestiftung der
Ansässigkeiten etwas slawisches (hier hannakisches) Blut eingedrungen
ist. Es hat ja auch damals keinen so großen Haß unter den Menschen
gegeben, wie in der kürzlich vergangenen und gegenwärtigen Zeit.
Vielleicht hat sich zu dem Endl oder Thomas aus purer Nächstenliebe
oder spontaner Hilfsbereitschaft zur Bestellung der Felder und
Versorgung der Haustiere ein Strnisko oder Doležel, oder wie sie sonst
geheißen haben mögen, gesellt und diese haben damals gemeinsam das vom
Schicksal hart getroffene Dorf nach alter Ordnung und Überlieferung
weitergeführt.
Kaum 60 Jahre sind durch das Dorf gegangen, als ein neues Unglück über
das schwer geprüfte Dorf hereinbrach. Im Jahre 1672 wurde das ganze
Dorf durch einen Brand vernichtet und auch hier stehen wir wieder mit
gesenktem Haupt, die Gedanken dorthin gerichtet, zu denen, die vor 287
Jahren am Grabe ihrer Habe gestanden haben. Solche und ähnliche
Geschehnisse sind für uns in dieser Zeit kaum vorstellbar, aber wir
müssen annehmen, dass damals im Dorfe die meisten Häuser mit Stroh
gedeckt waren. Eine Feuerwehr nach unseren Begriffen gab es damals
nicht. Die Wassereimer, die in jedem Haus für diese Zwecke bereit
standen, konnten nicht helfen auch nur ein einziges Haus zu retten.
Alles Gute kommt von oben, pflegt man immer zu sagen. Aber dass das
nicht immer zutrifft, bestätigt ein weiteres Unglück, das die Nimlauer
betroffen hat. Am 6. August 1707 wurde in Nimlau die ganze Ernte an
Hanf und Hirse, deren Anbau in damaligen Zeiten eine gewaltige Rolle
gespielt hat, durch Hagelschlag vernichtet. Hier waren wohl keine
Menschenleben zu beklagen und es wurde auch niemand obdachlos, aber die
Not und das Elend ist in das Dorf eingezogen.
6. Kapitel
In den vorhergegangenen Nummern habe ich euch kurz die
schweren Unglücksfälle, die unsere Ahnen ertragen mussten, geschildert.
Wir konnten mit Bestimmtheit daraus entnehmen, dass diese Menschen
damals nicht auf Rosen gebettet waren. Meine Lieben, wir kommen auch
heute wieder zurück in die Vergangenheit, aber mit einem anderen Thema.
Habt ein wenig Verständnis dafür, dass ich heute über die Nimlauer
Grenzen hinaus bis nach unserer Heimatstadt, der Hauptstadt Olmütz, der
einst unsere Gemeinde zugehörig bzw. untergeordnet war, gehe.
Olmütz wurde in den Jahren 1742 bis 1756 wegen der durch den
kriegslustigen König Friedrich II. von Preußen heraufbeschworenen
ständigen Gefahren zur „Haupt- und Grenzfestung“ ausgebaut, sodann
wegen der ständigen Spannungen mit dem nach der Vorherrschaft in
Deutschland strebenden Preußen durch zahlreiche Lagerwerke oder Forts
sowie Erdwerke in 4 Etappen (1839– 1845, 1850 – 1854, 1854 – 1857, 1858
– 1866) verstärkt.
Außer den Hauptwerken Tafelberg und Galgenberg kenne ich noch folgende
Werke aus eigener Anschauung: 1. Czernowier, 2. Chwalkowitz, 3.
Chwalkowitz (Erdwerk), 3a. Paulowitz (Erdwerk), 4. Bystrowan, 5.
Kupferhammermühle, 6. Holitz, 7. Holitz, 8. Holitz (Erdwerk), 10.
Koschuchan (Erdwerk), 11. Gießhübel, 11a. Nimlau (Erdwerk), 13.
Ziegelschlag, 14. Krönau (Erdwerk), 15. Neretein, 20. Krönau, 22.
Laska. So weit mir noch erinnerlich ist wurden erbaut: Tafelberg,
Galgenberg 1839 – 1845; Gießhübel (XI), Schnobolin (Ziegelschlag XIII),
Neretein (XV), Krönau (XVII) 1850 – 1854); Fort im Chomotauer Wald,
Fort zwischen Krönau und Horka 1854 – 1857; alle übrigen Forts 1858 –
1866 (insbesondere Fort Radikau).
(Julius Röder)
Hierdurch wurde das ganze Olmützer Land und damit auch unser Nimlau in
Mitleidenschaft gezogen. Die Stadt und die sie umgebenden Forts wurden
zum Teil auch durch unterirdische Gänge miteinander verbunden. Solche
zwei Werke standen auch auf Nimlauer Boden. Das eine, das Werk Nr. 9
(ein Erdwerk), welches schon in den1880er Jahren abgetragen wurde,
stand zwischen dem Kapellenweg und dem „Schanzweg“, ungefähr 300 Meter
von der von Neustift nach Koschuschan führenden Bezirksstraße entfernt.
Der Standort war noch durch zahlreiche Unebenheiten gut erkennbar. Das
zweite, das Fort Nr. 11, das wohl jedermann kennt, stand auf dem
schönsten und höchstem Ort von Nimlau, auf dem Goldberg (auch
Johannisberg genannt). Schon als Kind und später im Jahre 1919 hatte
ich Gelegenheit, das Bollwerk aus alter Zeit zu besichtigen und zu
bewundern. Ich nehme an, dass auch viele Einwohner von Nimlau oder aus
Olmütz-Land einen Einblick in so ein Fort gewinnen konnten. Später
einmal werde ich euch ersuchen, mit mir einmal einen kleinen Ausflug
zum Elfer-Fort zu unternehmen. Von dort aus kann man nicht allein einen
herrlichen Ausblick auf das Marchtal und das Odergebirge, sondern auch
auf unsere ganze schöne Heimat genießen.
Durch die Erbauung der Festung und wegen des Friedensstandes der
Garnison von 8000 Mann ergab sich die Notwendigkeit, für die
verschiedenen Waffengattungen Übungs- (Exerzier-) Plätze anzulegen. So
wurde auf der Nimlauer Hutweide durch einen Vertrag vom 1. November
1780 ein Artillerie-Schießplatz errichtet, zu welchem der
Domkapitularische Meierhof in Nimlau und die Bauern von Nimlau
insgesamt 14.300 Quadratklafter Grund zur Verfügung stellen mussten. Im
Jahre 1821 wurde der Schießplatz vergrößert, so dass der Anteil der
Bauern von 5081 auf 5945 Quadratklafter stieg. Alle beteiligten
Ansassen erhielten insgesamt 48 Gulden Pachtzins für das Jahr. Den
Angaben alter Gewährsmänner zufolge standen die Zielscheiben unweit des
Grügauer Walds. Die Geschütze standen auf den noch gut bekannten
Feldern, den sogenannten „Batteriestückeln“. Jeden Nachmittag nach dem
Schießen gingen oder fuhren einige Männer in Richtung Grügauer Wald zu
den Schießscheiben und sammelten die (damals noch runden und vollen)
Kanonenkugeln auf und verkauften dieselben nach Möglichkeit. Der
Flurname „Kugelberg“ stammt aus dieser Zeit; der so günstig und mit
vielen Stufen ausgebaute Berg diente gleichzeitig als Scheibenstand und
Kugelfang. Von den Festungsbaulichkeiten wurden das Maria-Theresia-Tor
und unser Elfer-Fort unter Denkmalschutz gestellt.
7. Kapitel
Auf dem Nimlauer Schießplatz war täglich am Vormittag
Großbetrieb und daher das Betreten dieses Gebietes verboten. Als am
Mittag das Trompetensignal zum Feuereinstellen und zum Abzug des
Militärs ertönte, durfte der damalige und auch letzte Gemeindehirt, es
war der Pawlak Viez (Vinzenz), mit sämtlichen Vieh auch dieses Gebiet
als Weide benützen. Nur eine Frau hatte täglich am Vormittag Zutritt
zum Schießplatz. Es war die uns noch allen gut bekannte Zucker-Basel
oder Zucker-Nana, von den alten Ansassen die Platzl-Tres (Theresia)
genannt. Diese alte Frau war schon in ihren jungen Jahren bestrebt
gewesen, die Soldaten während des Vormittags mit Gebäck und Süßigkeiten
zu versorgen. Und so wie ich sie kannte, lief sie bestimmt von einer
Abteilung zur anderen, bis ihr Vorrat verkauft war. Noch in ihrem hohen
Alter bekräftigte sie schmunzelnd ihre damaligen Verkaufserfolge. „Alle
Soldaten kannten mich und riefen mich auch mit dem Namen und ich hatte
alle Soldaten gern“ sagte sie immer. Das war leicht zu verstehen, denn
sie war ein lebensfreudiges und mit viel Humor ausgestattetes Wesen.
Wenn ich diese Frau nicht aus meinem Gedächtnis entlassen soll, so muß
ich bis in meine Kindheit zurückgreifen. Die Zucker-Nana, so wir Kinder
sie nannten, ging in ihren letzten Jahren schon ziemlich gebeugt.
Sonntag für Sonntag, gleich nach dem Essen, nahm sie ihre vollgepackten
Handkörbe und ging rundum durch das ganze Dorf. Bei schönem Wetter
saßen die meisten Frauen im Dorfe bei den Haustüren um zu plaudern. Die
kleinen und kleinsten Kinder scharten sich um die Mütter. Sie zupften
an ihren Schürzen und mit ihren fragenden Kinderaugen nach einer
bestimmten Richtung deutend, fragten sie: „Mutta, wen wet den die
Zucker-Nana kumma?“ Die Mütter antworteten: „Die wet schon kumma.“ Und
sie kam auch bestimmt. Jede Mutter hatte einige Kreuzer für ihre Lieben
übrig. Denn auch sie versuchten in dem Korb etwas für ihre
Schleckermäulchen zu finden und war es auch nur ein „Mondplatzl“ für
den hohlen Zahn.
Meine Lieben, dass ich ein „Pantschochascher“ war, das wisst ihr
bestimmt und wir mussten am längsten warten, bis die Zucker-Nana im
Dorf fertig war. Am späten Nachmittag standen wir alle schon an der
Ecke vom Blanarsch bei der Bahn und an Kindern hat es in der
Pantschocha wirklich nicht gefehlt. Nicht alle hatten einen Kreuzer,
manche nur einen halben (also einen Heller) und viele nicht einmal
diesen. Den Kreuzer oder Heller in der Hand schon ganz heiß und weich
gedrückt warteten wir mit Sehnsucht auf den Augenblick, da die
Zucker-Nana bei Steffes Eck erscheinen wird. Auf einmal ein Jubel und
ein Geschrei: „Die Zucker-Nana kimmt, die Zucker-Nana kimmt!“ Und schon
war sie und wir auf der Brücke. Das Warten hatte sich gelohnt, wir
sprangen voll Freude, denn jetzt war der Augenblick gekommen, da der
schon glühende Kreuzer in einen „Schpallek“ verwandelt werden konnte.
Die Zucker-Nana stellte die Körbe zur Auswahl auf den Boden. Sie selbst
musste sich fest hinstellen, sonst wäre sie durch unseren Eifer zu Fall
gekommen. Viele Kinderaugen blickten jetzt in die Körbe hinein, um mit
den Augen das größte Rum-Klötzl oder den größten Schpallek
festzunageln. Die Kinder, die nur einen Heller oder gar keinen hatten,
wollten auch dasselbe haben oder was halt noch da war. Alle bekamen
etwas. Niemand ging leer aus, denn die Mütter beglichen dann die kleine
Zeche. Der Höhepunkt des Kinderglücks war überschritten, ein jedes Kind
hatte den Mund voll, das Zuckerl kam von einer Backe zur anderen, aber
man musste sparsam genießen, denn gar schnell war so ein Zuckerl
vernutschelt! Nun war wieder Ruhe in der Kinderschar eingekehrt und die
Zucker-Nana nahm den Weg zur Pantschocha wo noch die Mütter beisammen
saßen. Auch sie freuten sich über das Eintreffen der Platzl-Tres und
die Körbe – freilich waren nur mehr einige Stücke drinnen – wurden
vollends ausgeleert. Alle waren zufrieden und der Zufriedene war schon
immer der Glücklichste. Wie oft hatte meine Mutter heimlich 2 bis 3
Schpalleks gekauft von denen sie einen in 4 bis 5 Teile zerhackte und
verteilte und damit unsere Sonntagsfreude bis zum Schlafengehen
verlängerte. Nun neigte sich die Sonne hinter den Goldberg und ein
schöner, mit Freuden erfüllter Sonntag bescheidener Menschen war zu
Ende.
Meine Lieben, die „Zucker-Nana“ ist nur ein kleiner Ausschnitt aus
unseren Kinderjahren. Ich weiß bestimmt, dass sich noch viele erinnern
können, wie damals so ein Rum-Klötzl geschmeckt hat.
8.Kapitel
Die in meinem letzten Brief der Olmützer Blätter abgebildete
Ortskapelle war für die rein katholische und tiefgläubige Bevölkerung
von Nimlau von größter Bedeutung. In dieser Kapelle hat sie ihre
Fürbitten und Danksagungen zu Gott für die Erhaltung ihrer Habe sowie
für das Wachsen und Gedeihen der Feldfrüchte zum Ausdruck bringen zu
können. Seit ihrer Erbauung war sie immer der Mittelpunkt größerer
Ereignisse oder Festlichkeiten, die doch zumeist mit einem Gottesdienst
in der Ortskapelle eingeleitet wurden. Ich glaube kaum, dass es jemals
noch eine solche Zeit geben wird, in der sich die dort heute lebenden
Menschen mit Gott so verbunden fühlen und sich um die Kapelle so
scharen werden, wie dies einst die deutschen Bewohner der Gemeinde
getan haben. Über die Erbauung der Angerkapelle auf der einstmaligen
Hutweide, am Rande des nach ihr benannten „Kapellweges“, über den Anlaß
und den Zeitpunkt ist nichts bekannt. Die Pflege dieser Kapelle
erfolgte früher durch die Gemeinde, wurde aber später von der Familie
Mauritz Schenk, den Eltern des noch lebenden Gemeindevorstehers a. D.
Richard Schenk, übernommen. Darüber hinaus fanden sich hierzu immer
wieder weitere hilfsbereite und opferwillige Ortsbewohner, die ihre
Leistung als Dankesschuld für den empfangenen Segen betrachteten.
Meine Lieben, wenn Ihr den Lauf des Jahres und den mit ihm
einhergehenden Wandel der Farben betrachtet, so werdet Ihr gewiß das
Bild des ziemlich weit vorangeschrittenen Herbstes wahrnehmen, raue
Winde und die ersten Fröste haben alle Pracht und Herrlichkeit ein Ende
bereitet. Die Worte eines uns gut bekannten Liedes sagen es uns ja:„
Die Blaterln folln schun von die Bam, die Vogerln, die san staht. Der
Wind hot oll´s groß und klan in die weite Welt zerstraht.“
In der Zeit des Blätterfalles, des Schweigens der Vogelwelt, der Nebel
und der zunehmenden Dämmerung, des schmerzlichen Abschiedsnehmen und
der Trauer, die uns gar oft überfällt, fallen die Gedenktage der Toten,
die Feste Allerheiligen und Allerseelen, die uns veranlassen, uns im
stillen Gebet zu vereinen. An diesen einzigen wie einzigartigen
Gedenktagen vereinigten sich einem Bollwerk gleich die Gedanken aller
Vertriebenen in den Friedhöfen der Heimat. Wieder werden unsere Tränen
ungezählte Tausende von ungepflegten, hart gewordenen Grabhügeln, die
ein kostbares Gefäß für unsere Eltern, Geschwister und Kinder geworden
sind, erweichen.
Mir und Euch allen ist es bestimmt nicht bekannt, wie die Gräber auf
den Heimatfriedhöfen und die Kriegerdenkmäler aussehen, aber wir wollen
uns das letzte Bild von den Festen Allerheiligen und Allerseelen noch
aus der Zeit vor der Vertreibung vor die Augen führen. Alle, die in
Gedanken die heimatlichen Friedhöfe und Totengedenkstätten betreten,
werden von den Gefühlen der Verbundenheit mit unseren Toten mächtig
bewegt. Wir sehen im Geiste noch die Gräber herrlich geschmückt und von
unzähligen Kerzen und Öllämpchen beleuchtet und so sind unserer Herzen
hier unsern lieben Toten in der Heimat ganz nahe!
Herr, lasse sie ruhen in Frieden!
9. Kapitel
Noch vor der Auflösung des Nimlauer Schießplatzes im Jahre
1892 wurde der im Jahre 1741 in den Nimlauer Alleinbesitz gelangte
Hutweidenanteil im Jahre 1877 wegen des Aufkommens des
Zückerrübenanbaues an 29 Bauern, 14 Gärtler und 39 Häusler aufgeteilt.
Es erhielt davon ein Bauer 2 Joch 218 Klafter, ein Gärtler 1 Joch 1011
Klafter, ein Häusler 288 Klafter und ein jeder Ansasse konnte von da ab
seine Felder nach seinem Ermessen bebauen. Hutweide und Schießplatz
gerieten alsbald der Vergessenheit anheim, sie gehörten der
Vergangenheit an.
Meine Lieben, wir wollen uns nun das Nimlauer Schulwesen vor Augen
führen. Schon im Jahre 1736 hatte Nimlau seinen eigenen Schulmeister.
Es gab damals noch keine Schulpflicht und war daher der Schulunterricht
eine reine Privatangelegenheit. Es gingen deshalb auch nur solche
Kinder zur Schule, deren Eltern gewillt waren, ihren Kindern eine
bessere Laufbahn zu ermöglichen und die auch in der Lage waren, die
damit verbundenen Unkosten zu bestreiten. Damals legte ein Bauer und
alle auf dem Lande lebenden Menschen auf einen Schulunterricht keinen
allzu großen Wert. Sie hielten es für wichtiger, dass ihre Nachkommen
alle auf dem Lande und auf dem Felde vorkommenden Arbeiten, wie das
Ackern, Säen, Hacken, Jäten, Mähen und Dreschen usw. voll und ganz
beherrschten, nicht aber viel Lesen und Schreiben verstehen und damit
die Erdäpfel, die Zwiebeln oder was sonst schon verkehrt, also mit dem
Kopf nach unten in die Erde stecken und damit das Gedeihen der Frucht
vereiteln. Das der Heiligen Schrift entnommene Leitwort des Bauern
„Bete und arbeite!“ war klar und eindeutig. Bete und arbeite! Alles Tun
und Handeln auf seinem Hofe wurde nach diesen drei Worten ausgerichtet.
Liebesbriefe schrieb man damals noch nicht, es wäre ja auch viel zu
umständlich gewesen. Die Alten werden bestimmt noch alles in Erinnerung
haben und so manch schöner Traum wird sie in die allzu ungern
vergessene Jugendzeit zurückführen, da noch die Burschen am Abend zu
den Madeln in die dunkle Kammer schlichen, ihnen das Leid der Liebe
offenbarten und ihnen alles ganz leise ins Ohr „hineingetschischpert“
haben. So war das anno dazumal in der guten alten Zeit.
Das erste Schulgebäude in Nimlau wurde im Jahre 1780 erbaut, es war das
Haus Nr. 32. Ich glaube, es war das Haus welches zuletzt von Frau
Usarsky und Andreas Stratil bewohnt wurde. Eine zweite Schule wurde im
Jahre 1861 erbaut (Nr. 41). Dieses Haus wurde später geteilt und
zuletzt von Adolf Hudecek sowie von Oberlehrer Alois Felkel bewohnt.
Erst im Jahre 1876 wurde von der damaligen Gemeindevertretung, unter
Aufnahme erheblicher Darlehen, das Gemeindehaus und das dritte und
letzte Schulgebäude erbaut. Das letztere war, ohne überhebliche Worte
zu gebrauchen, eines der schönsten und stattlichsten im Olmützer
Landbezirke. Wie ein Herrensitz aus neuester Zeit stand es da,
eingebettet in der baumreichen Dorfflur inmitten seines immer so
herrlich gepflegten Schulgartens. Ich glaube, wir alle, die diese
Schule besucht, auch ihre Aufgaben und Belange erfüllt haben, unsere
Muttersprache liebevoll pflegten, haben an sie schöne Erinnerungen
behalten. Nicht nur wir Nimlauer waren stolz auf sie, nein, auch alle
Fremden haben unseren berechtigten Stolz durch Lob und Anerkennung
bekräftigt. Die durch den Uhrmacher Johann Klement und später durch
dessen Vater Alois Klement immer im Stande gehaltene Schuluhr konnte
von keinem Bewohner mehr entbehrt werden. Nicht nur Schülern und
Lehrern, nein, auch allen Ansassen, insbesondere den auf dem Felde
arbeitenden Landwirten, schlug sie laut vernehmlich und wohlklingend
die Stunde. Wer pflegt sie heute? Und wer sind die Menschen, die ihre
Stundenanzeige in Anspruch nehmen?
Meine Lieben, ich nehme an, dass auch Sie die Meinung haben, dass die
dort lebenden Menschen weder Ruhe noch Freude an allem dem, was wir
zurücklassen mussten, finden werden. Unsere durch siebenhundert Jahre
gesprochenen deutschen Worte, unsere Volkslieder und unsere
Muttersprache haben sich bis in das Innere der Mauern eingetränkt und
diese werden sie bis in fernste Zeit behalten. Gemeindehaus und Schule
sollen jedem Menschen, der sie betritt, als mahnendes Vermächtnis
deutscher Menschen erscheinen. Sie werden sie auch immer an ihre
Raubgier und an unsere Austreibung erinnern.
10. Kapitel
Werfet einen kurzen Blick durch das Fenster und es werden viele von
euch wahrnehmen, was sich in wenigen Tagen vollziehen wird. Nicht
allen, aber einem Großteil der Leser war bestimmt schon das Glück und
die Freude beschieden, den Einzug des Winters in seinem festlichen
Gewand zu genießen, dort wo schon die Natur dem bevorstehenden
Weihnachtsfest Glanz und Würde verliehen hat. Weihnachten, das Fest der
Liebe, der Freude und des Friedens, wird wohl in der ganzen
christlichen Welt aus dem gleichen Anlass gefeiert. Sitten und Bräuche
um das Weihnachtsfest sind aber in jedem Landstrich anders. Wollen wir
uns einmal das Fest, wie wir es nach unserem heimatlichen Brauch erlebt
haben, vor Augen führen, als wir noch Kinder waren, oder als wir später
selbst das „Christkind“ spielen durften.
Bei uns zu Hause war die Mutter die Trägerin des Geschehens im Hause
und in der Familie und somit auch beim Weihnachtsfest. Wie wir alle
wissen, gab es für sie dabei viel Arbeit und Vorbereitungen. Es wurde
wochenlang gebacken, Seidenpapier zum Einpacken zugeschnitten, Nüsse
vergoldet und Nägel hineingeschlagen, Äpfel und Pummerantschen mit
Stielen versehen, kurz, alles zum Aufhängen vorbereitet. Der Baum wurde
dann am Vorabend geschmückt, alle Bäckereien und Früchte aufgehängt,
Kerzen und Sterndlspritzer befestigt. Am Morgen des Heiligen Abend
wurde uns, altem Brauch zufolge, von der Mutter gesagt: „Heute ist
Fasttag, wer das Goldene Lamm sehen will, darf nichts essen, sonst
sieht er am Abend auf dem Dachfirst die Grindige Sau laufen.“
Am Spätnachmittag warteten schon die Kleinen und Kleinsten im
Sonntagsgewand voller Ungeduld und hungrig auf die Ankunft des
Christkindes. Bei Eintritt der Dunkelheit wurde es auf der Dorfgasse
ganz still; es war auch an der Zeit, dass sich die Familie zum
festlichen Mahl versammelte, auf welches sich wohl alle schon lange
gefreut hatten. Es gab eingebrennte Nudelsuppe mit getrockneten
Schwammerln, Kadlatkatunk und Röhrlabl oder eingebrennte Erdäpfelsuppe
und Schwammerl, breite Nudeln mit Mohn, Zucker und Butter. Weiter
ausgebackenen Karpfen, Nüsse mit Honig, Weihnachtsstriezel, hierzu Tee
mit Rum. Auch die Tschipken (getrocknetes Obst) durften nicht fehlen.
An die Tiere im Stall wurde auch gedacht. Sie bekamen mit Salz
bestreute Brotschnitten, denn unser alter Volksglaube sagte uns, dass
in dieser Nacht die Tiere sprechen und sich über die Hausfrau beklagen
oder sie loben. Hernach war der „Erste Stern“ am Himmel erschienen, der
die Ankunft des Christkindes anzeigte. Nun wurden wir Kinder auf den
Hof geführt, um auf dem Dache das „Goldene Lamm“ zu sehen. Unterdessen
wurde der Christbaum in der Stube aufgestellt, die Kerzen angezündet
und die Kinder hereingerufen. Alles eilte in die Stube und beim Anblick
des Lichterbaumes und der Geschenke war die Freude für alle, ob groß
oder klein, unermesslich. Ausgebreitet lagen Pudelmütz, Handschken,
Schleifeisen, Schal, Socken, Schuhe „Puckeltasch“. Alles erdenklich
Brauchbare für die Winterzeit war da! Es wurde gegessen und getrunken,
was Platz hatte, auch wiederholt das Weihnachtslied „Stille Nacht,
heilige Nacht“ gesungen. Nach zwei bis drei freudigen und glücklichen
Stunden fiel den Kindern der Schlaf in die Augen. Die Festfreude
beschäftigte sie in Träumen bis zum Morgengrauen. Erst jetzt war das
festlichste aller Feste zu Ende und wer will es bestreiten, dass wir
Erwachsenen uns am Heiligen Abend genau so freuten als die Kinder!
Wie war das Schicksal unbarmherzig mit uns erst hier zu Großeltern
gewordenen Vertriebenen! Man zerstreute uns in alle Windrichtungen,
dass wir meist kaum in der Lage sind, am Weihnachtsfest an den Freuden
unserer Kinder und Enkel teilzunehmen.
wünschen.
11. Kapitel
Aller Sang und Klang vom Weihnachtsfest ist verklungen, aber
bevor wir das alte Jahr beschließen, sehe ich mich veranlasst im Namen
aller Landsleute aus Nimlau derer zu gedenken, die im vergangenen Jahr
für immer aus unseren Reihen geschieden sind. Wir sind bereit, den
trauernden Hinterbliebenen durch tröstende Worte einen Teil ihres
Leides tragen zu helfen. Freud und Leid schreiten gemeinsam mit uns den
uns vom Schicksal gezeichneten Weg einher und keiner von uns allen ist
in der Lage zu wissen, was ihm in diesem Jahr beschieden sein wird.
Ich habe heute die Absicht, vor allem die alten Ansassen von Nimlau
anzusprechen und sie zu bitten, allen Schmerz und alles Leid für eine
kurze Zeit zu vergessen. Ich würde mir und bestimmt auch euch allen
wehe tun, so weiter zu schreiben ohne den Winter und den Fasching aus
längst vergessener Zeit zu erwähnen. Nach der Arbeit ist gut ruhen,
daher war auch schon damals der Winter und der Fasching herzlich
willkommen, beide haben auch einen mit viel Freude und Fröhlichkeit
bekränzten Platz vorgefunden. Die Menschen sind heute und waren auch
schon damals verschiedener Natur: „Es gibt solche und solche, aber mehr
solche als solche“. Die zum überwiegenden Teil lebensfrohe Bevölkerung
von Nimlau durfte daher die kurze „Schnaufpause“, den Winter und den
Fasching, mit viel Ausgelassenheit und Frohsinn genießen. Sie war immer
bereit, einen schlechten Tag durch einen fröhlichen Abend
auszugleichen, denn die arbeitsfrohen Menschen waren schon während des
Sommers darauf bedacht, jedem auch noch so strengen Winter ohne Furcht
zu begegnen zu können.
So wurde auch fast in jedem Haushalt eine Sau zu Tode gefüttert. Nicht
nur der Bauer, sondern auch alle im Freien arbeitenden Berufe hatten
über die kalte Zeit ihre Arbeit eingestellt. Da hatten sie die Zeit und
Gelegenheit, in der warmen Küche auf der Ofenbank, den Blick auf die
mit Eisblumen geschmückten Fensterscheiben gerichtet, die Ohren aber
voller Zufriedenheit und mit freundlichem Schmunzeln dem Prasseln der
im Ofenrohr befindlichen Leber- und Graupenwürste zugewandt, in aller
Gemütlichkeit auszuruhen. Meine Lieben, ich kann jetzt nicht leugnen,
dass mir geradezu das Wasser im Munde zusammenläuft, sehe ich doch im
Geiste einen Topf voll Sauerkraut und ein „Kastrol“ schön knusprig
„gepranzelter“ Würste vor mir; Kinder, das war ein Gedicht!
Im Bauernhof hatte sich für den Winter einige Arbeit angehäuft, es
musste Korn mit dem Flegel gedroschen werden und der Knecht war nachher
bemüht, die Garbenbänder für die nächste Ernte herzustellen sowie alle
Feldgeräte instand zu setzen. Die Bäuerin mit dem Dienstmädchen war mit
dem Ausbessern der Säcke und Grastücher beschäftigt, aber das
Federschleißen war wohl ihre beliebteste Winterarbeit. Da fanden sich
zumeist immer unsere Frauen jeweils in einem Hause ein und gaben zur
Freude des Tages dabei die Sünden ihrer Jugendjahre preis. Da wurde
gelacht, dass die Wände nur so wackelten und die Federn in der ganzen
Küche herumflogen. Ganz ruhig wurden aber die Frauen und Mädchen, wenn
die Bäuerin von den vielen bösen Geistern erzählte, die sich früher im
Dorf herumgetrieben hatten, oft den Frauen, die schon in der Nacht mit
einem Korb voll Grünzeug nach Olmütz gehen mussten, sich auf den Buckel
hockten und sich von ihnen ein gutes Stück Weges tragen ließen. Früher
mussten auch die Männer, mit einem festen Stock ausgerüstet, die Frauen
nach Hause bringen.
Auch die Kunstfertigkeit so vieler Nimlauer hatte angenehme Seiten und
brachte allerhand Nutzen: Die Männer hatten den Korbflechtern so viel
abgeschaut, dass sie soweit Weidenruten aufzutreiben waren, die
schadhaften Körbe ausbessern und neue Körbe herstellen konnten. Vom
Samstagmorgen angefangen waren die Frauen mit dem Herrichten und Bügeln
der Ballkleider beschäftigt. Nicht leicht war es, die vielen gestärkten
Unterröcke so kunstgerecht zu bügeln, auf dass das Rauschen der Kleider
mit den Walzermelodien in Einklang gebracht werden könne.
12. Kapitel
Es würde mich wirklich erfreuen, wenn es mir gelingen würde,
in euch die Erinnerung an einige schöne Stunden wachzurufen. Es ist
Faschingszeit und so wollen wir diesmal einen Ball besuchen, wie er so
etwa vor 50 Jahren bei uns in Nimlau stattgefunden hat und uns seinen
Verlauf vor Augen führen.
Schon die Kleidung, Kostümierung und die in ihr verhüllten
lebensfreudigen Menschen waren eine Augenweide. Die Männer im dunklen
Anzug, einer steifen Hemdbrust, einem hohen steifen Kragen – bei vielen
war der Hals dafür viel zu kurz -, Ansteckmanschetten und
Lackstiefeletten. Die Frauen hatten reich mit Spitzen verzierte Wäsche
und über die Knie hinausragende Hosen, drei bis vier gestärkte
Unterröcke, ein fest geschnürtes Mieder, ein buntes Kleid, schicke
Schuhe und in der Hand einen Fächer. Die Veteranen, die Feuerwehr und
zum Teil auch die Bauern trugen Uniform; die „Petersel-Männer“ waren
damals noch nicht uniformiert.
Mit dem Walzer „Hereinspaziert!“ wurde der Ball eröffnet. In dem nicht
allzugroßem Saal herrschte bald ein buntes Treiben. Die im Saal noch
vorhandene kalte Luft wurde durch das Einnehmen von einigen „Allasch
mit Rum“ durch die Herren und ein paar „Glühwürmchen“ durch die Frauen
bald erwärmt und damit der Grundstein zur richtigen Stimmung gelegt.
Die abwechselnd gespielten Walzer und Polkas und das Rauschen der
gestärkten Damenkleider wirkte auf die Ballgäste: Die Stimmung stieg
bis zur Mitternacht immer mehr, die Frauen begannen leicht zu juchzen.
Damenwahl, Ordenwalzer ertönt es durch den Saal. Im nu waren die Herren
mit Orden aller Größen und bunten Bändern behängt und nicht nur die
eigene Frau, auch so manche „alte Liebe“ hat sich an dieser Dekoration
beteiligt. Stolz wie die Feldherren, die Brust mit Orden behängt,
schwebten sie, ihre Tänzerin fest umschlungen, den Walzermelodien
folgend, durch den Saal. Der darauf folgende „Sträußchen-Walzer“ für
die Frauen ergab dasselbe Bild; hier mussten die Herren Farbe bekennen,
sie hefteten auch so mancher Jugendliebe mit ein paar lieben Worten ein
Sträußchen an die Brust und dabei hat man gemerkt, wo einmal der
„Pfeffer gewachsen war“. Durch den ausgedehnten Ländler erhitzen sich
nun Körper und Gemüter. Die Herren legten den Kragen, die Hemdbrust und
die Manschetten ab, die Frauen lockerten ihre Mieder und konnten
kräftiger als zuvor juchzen. Zwar haben ein nachfolgender Schottisch,
einige Polkas und ein „Tititi“ die Ballgäste zu einer Ruhepause
gezwungen, aber es gab damals ganz unermüdliche Frauen wie z. B. die
König-Basel, denn sie tanzte so lange, bis nur ein einziger Musikant
einen Ton von sich gab. Sie tanzte, juchzte und johlte wie ein „Lump am
Stecken“. Der Herrgott möge solchen lebensfreudigen Menschen Gesundheit
und ein langes Leben schenken! Zum Beschluß des Balls wurde noch der
Polstertanz ausgeführt, aber den wollen wir uns nächstes Jahr
aufspielen lassen.
In der Fosching kimmt holt ollerhond vor, es wird gejuxt gejolt und
gelocht, getonzt, geschnapselt und a geschmust und wos mon holt mocht
in der Nocht.
Freind, hörst du amol irgendwo lochen und singen so voller freid, do
brauchst dich gor net zu wundern, dos sein dem Herrgott sei Leit.
Willst du dich mit denen befreinden, dann setz dich gefälligst schön
hin, sing mit und loch aus vollem Herzen, dos ist bestimmt Medizin!
Wenn der Hergott dort oben so lächelt und zwischendurch auch amol
locht, Leitln, tuts den Mon nur net stören, der weiß bestimmt wos er
mocht!
Er hot uns doch olle erschoffen und schickte uns doher auf die Welt,
dos ane konn ich ihm nie vergessen, gonz nocket und ohne Kreizer Geld.
Erhebet die Gläser ihr Lieben und trinket auf Glück und Gedeih!
Mit Bestimmtheit konn ich eich heit schon sogen: In fünfzig Johren ist
olles vorbei.
Bin ich amol im Himmel und schau herunter aufs Lond, vom Herzen möchte
ich eich schen bitten, mocht uns ollen do unten nur ka Schond!
Wär mir dos Glück noch beschieden und bliebe weiter gesund so wie heit,
so hören wir uns im nächsten Monat wieder genau um dieselbe Zeit.
13. Kapitel
In der vorösterlichen Zeit, in der wir uns soeben befinden,
werden die Älteren und viele schon zu Großmutter gewordenen Mädchen von
damals einen alten heimatlichen Brauch vermissen. Es war der in ganz
Olmütz-Land und auch noch weit darüber hinaus bekannte
Maisonntag-Brauch am dritten Sonntag vor Ostern. Zwar war er nur für
Mädchen da, denn die Buben hatten ihren Brauch, das „Schmeckostern“, am
Ostermontag.
Das Symbol des Putmaiersonntags war bei uns in der Heimat der
sogenannte „Putmaier“, ein ungefähr 70 Zentimeter hohes
Fichtenbäumchen, an dessen unteren abgeschälten Ende die Äste entfernt
worden waren und dessen oberste Äste mit einer Schnur hochgebunden und
mit bunten Papierstreifen geschmückt waren. In der Krone war eine
kleine Puppe, das Kleidchen aus buntem Papier oder buntem Stoff
gefertigt, eingebaut. Zumeist schon 14 Tage vorher erschienen im Dorfe
Frauen aus der Gegend vom Heiligenberg und verkauften diese Putmaier an
die Mütter des Dorfes. Ging man auch am Vortage des Festes durch das
Dorf, verriet es der Putmeier im Fenster, wo ein Mädchen im Hause war.
Während an besagtem Sonntage die Hausfrauen und Mütter der Hl. Messe in
der Pfarrkirche zu Schnobolin beiwohnten, versammelten sich die
Mädchen, mit dem Putmaier, einem Körbchen oder einer Tasche
ausgerüstet, vor dem Hause des Herrn Eduard Melzer (früher Andreas
Strnisko, Gemeindevorsteher). Nicht immer begleitete die Sonne die
Mädchenschar, gar oft war es kalt und regnerisch, aber niemals ließ sie
sich die Freude an dem Brauche nehmen. Die vom Kirchgang heimkehrenden
Mütter wurden hier mit großer Fröhlichkeit begrüßt und mit folgendem
Liede angesungen.
„In Gottes Namen fangen wir an und singen die schöne Frau Wirtin an.
Wir singen in dieser Maieszeit, die Jesu, der Herr, in der Schrift
verleiht.
Maria hat ihren Sohn verloren, sie sucht ihn mit Weinen und heiligem
Zorn.
Sie sucht ihn in der Judenschul, dort saß er auf des Meisterleins
Stuhl.“
Hierauf begann der Rundgang durch das Dorf. Vor jedem Hause wurde
angestimmt:
„Kleine Fischlein, kleine Fischlein, schwimmen in den Teichen,
Rote Rosen, rote Rosen wachsen auf den Sträuchen.
Der Herr ist schön, der Herr ist schön, die Frau ist wie ein Engel....“
In diesem Augenblick erschien die Hausfrau in der Haustür mit einer
großen Schüssel selbstgefertigter Bäckereien und verteilte sie unter
den Mädchen. Deren herzliches „Vergelt´s Gott!“ empfanden sie als einen
Segen Gottes für alle ihre Lieben und den ganzen Hof. Die Mädchen
gingen so zum nächsten und weiter zum übernächsten Haus und so ging es
durch das ganze Dorf. Nicht nur die beschenkten Kinder waren freudig
gestimmt, auch die gutherzigen und gebefreudigen Hausfrauen gerührt und
glücklich. Herr Zbitek und Herr Oberlehrer Alois Felkl taten noch ein
übriges, indem sie die Mädchen in die Wohnung baten und einem jeden von
ihnen einen Kreuzer verehrten. Da sich an diesem Brauchtume bzw. an
dieser Geberei nur die Bauern und Gärtler beteiligten, nahm der
Rundgang beim Gasthaus Matschak sein Ende.
So ging jetzt jedes Mädchen, die kleineren von ihrer älteren Schwester
oder ihrem älteren Bruder an der Hand geführt, dem Elternhaus zu. Ihr
werdet lachen, aber es war einmal so: Auch ich habe meine um sieben
Jahre jüngere Schwester an der Hand geführt und es hat sich gelohnt,
wenn ich mit ihr so als letzter dahergewackelt kam. Durfte ich auch die
Hand hinhalten und ging somit nie leer aus.
Nach dem Mittagessen wurden die Mädchen frisch aufgeputzt, denn sie
gingen jetzt zur Tante, Taufpatin oder zu einer anderen lieben
Verwandten, um hier erst die eigentliche Beschenkung zum
Putmaeir-Sonntag entgegenzunehmen. Puppen, Bälle, Kleidchen und so
manches, was ein Mädchenherz glücklich macht nahmen sie glückselig
entgegen. Obwohl die Buben nur Zuschauer waren, konnten sie doch von
ihren Schwestern Bäckerei bis zu Ostermontag „ausleihen“. Die
geschwisterliche Liebe war eben stärker als jeder Schwur und geteilte
Freud war doppelte Freud. So endete damals der schöne Putmaier-Sonntag;
einen solchen werden unsere Enkel kaum noch erleben.
14. Kapitel
Durch die immer wärmer werdenden Sonnenstrahlen wurden daheim alle
Pforten und Menschenherzen geöffnet , nicht nur wir Menschen, alles
Wesen auf Erden wurde aus seinem Schlummer erweckt, die Marchebene
wurde wieder grün, die heimischen Singvögel kehrten wieder zurück in
das Land und stiegen hoch in die Lüfte, um singend Gott für die
wohltuende Wärme zu danken. Da war wieder die Zeit gekommen, in der die
Jugend durch die warme Sonne zum Spiele im Freien verlockt wurde und
bald standen die Osterfeiertage mit ihren Freuden für groß und klein
vor der Tür. Die Knaben sind bestimmt dabei gewesen, ihre Klappern und
Schnarren instand zu setzen oder gar durch neue zu ersetzen, denn am
Gründonnerstagfrüh wurden während der Messe die Glocken gebunden und
das Morgen-, Mittag- und Abendläuten durch das „Klappern“ ersetzt. Um
einhalb zwölf Uhr versammelten sich die Buben mit einer Klapper oder
„Schnarr“ vor der Ortskapelle. Der ganze „Vorgang“ wurde durch einen
oder zwei Buben, die gut gebetskundig waren - zur damaligen Zeit waren
es die Buben des Schneidermeisters Otto Hirschel – geleitet. Zu Beginn
wurde ein Vaterunser oder der „Engel des Herrn“ gebetet und dann gingen
die Buben dreimal um die Ortskapelle und dann zu zweien, schön in
Ordnung, durch das Dorf. Das Klappern wurde durch eine übergroße, einer
„Tragatsch“ nicht unähnliche Schnarre im Takt gehalten: Es ging im
Takte 1, 2, 3, 3, 3. Dieser Umgang hat sich noch abends und am
Karfreitag viermal wiederholt. Am Karfreitag, nachmittags beim
„Drei-Uhr-Läuten“, dehnte sich der Umgang erheblich aus: Die Klapperer
gingen geschlossen zum „Fieber-Bründel“, es befand sich am Nordhang von
„Schaffers Wiesen“. Es war eine Quelle, dahinter stand ein kleines
Bildstöckl oder Marterl und rechts sowie links davon ein großer
Maulbeerbaum, wohl der letzte in der Dorfflur. Hier wurde andächtig ein
Vaterunser gebetet und es ging weiter zur „Angerkapelle“. Hier erfolgte
der gleiche Vorgang. In das Innere der Kapelle blickend, konnte man am
Altar das Grab und den toten Heiland sehen. Sodann gingen die Buben
nach Hause. Nach einer kurzen Pause mussten sie wieder erscheinen. Da
sie für das Klappern belohnt werden sollten, gingen sie an diesem Abend
etwas früher um und erhielten von jedem Haushalt im Dorf einige Kreuzer
und auch die Gemeindevertretung spendete dazu eine Summe. Nach dem
Rundgang wurde der Erlös je nach Beteiligung aufgeteilt, zumal am
Freitag- und am Samstagmorgen die Kleineren in den Betten bleiben
durften. Aus der eigenen Erfahrung kann ich sagen, dass am
Karfreitagabend viele von ihnen beim Schlafengehen Klapper und Kreuzer
in der Hand behielten und den schönen Brauch im Traum genossen.
Die Mütter besuchten mit den ganz Kleinen, festlich gekleidet, das
Heilige Grab in der Pfarrkirchen zu Schnobolin. Ein schöner, erhebender
Grabbesuch, den bestimmt noch die ehemaligen Pfarrkinder in der
Erinnerung haben werden. Die alten Veteranen von Nimlau hielten hier
die Grabeswache! Auch durften hier die Kinder ein gefärbtes Ei der
Opferschale entnehmen, dass die Mütter zuvor heimlich hineingelegt
hatten. Die Burschen und Mädchen gingen am Nachmittag des Karfreitags
zum Besuch der Heiligen Gräber in den vielen, großen und prächtigen
Kirchen von Olmütz und brachten von dort unvergessliche Eindrücke nach
Hause. Ostern in Olmütz waren nicht weniger festlich und feierlich als
die Ostern in Rom!
15. Kapitel
In den Berichten der letzten Monate bin ich von meinem
Hauptthema etwas abgewichen und sehe mich daher bewogen, wieder einen
Schritt rückwärts zu tun: Die Gemeinde Nimlau und ihre alteingessene
Bevölkerung durfte sich in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts
im Jahre 1872, noch vor dem Gemeindehaus- und Schulhausbau, eines
weiteren größeren Bauvorhabens erfreuen. Es war dies der Bau der
Bahnlinie Olmütz über Proßnitz nach Nezamyslitz, des Anschlusses an die
Bahnlinie Prerau-Brünn. Sie gehörte zum Netz der
„Kaiser-Ferdinand-Nordbahn“.
Die Bahnlinie, die zwischen Gießhübel und Nimlau längs des Dorfes
hinter den Scheuern erbaut wurde, hat durch einen bis zu 8 Meter tiefen
Einschnitt die nachher außerhalb des Dorfes stehenden 7 Häuser (die „
Pantschocha“ genannt) von der Gemeinde abgetrennt, auf der Westseite
alle Felder und die aus dem Dorfe führenden Wege und Straßen
durchschnitten.
Durch den Bahnbau musste auch der nördlichste Teil des Dorfes zum
Leidwesen aller Bauern und der sich mit der Landwirtschaft
beschäftigten Bewohner beider Gemeinden eine Änderung der Verbindungen
erfahren. Die alte Bezirksstraße, die vor dem Bau der Bahn vom Eck
Franz Pawlak und vom Garten des Adolf Strnisko unmittelbar an der nach
dem Ausgang des 1. Weltkrieges erbauten tschechischen Volksschule
vorbei und da ganz nahe am derzeitigen Bahnkörper und an der noch vom
Schwedenkrieg herstammenden Martersäule vorbei nach Gießhübel und
weiter nach Olmütz führte, wurde über die auf dem höchsten Punkt des
Dorfes neu erbaute Überführungs-Bahnbrücke umgeleitet. Auch der nach
den bewussten 7 Häusern benannte „Pantschocha-Weg“, der von demselben
Ausgangspunkt, also vom Franz Pawlak und vom Garten des Hubert Steffe
gerade aus an der Pantschocha vorbei zu den „Oberen Feldern“ und zum
„Goldberg“ führte, wurde auch an die neue, über die
Überführungs-Bahnbrücke führende Straße angeschlossen. Durch den Bau
der Brücke erhielt die von beiden Seiten zu ihr hinauf führende Straße
eine erhebliche Steigung, welche von allen Bauern, die doch die ganze
Last ihrer Feldfrüchte über die Brücke führen mussten, als eine
Beschwerung empfunden wurde. Aber ihre Söhne und Töchter waren anderer
Meinung, sie haben dieses neu erstandene herrliche ruhige Plätzchen als
ein Geschenk des Himmels empfunden: Es wurde ein Treffpunkt liebender
Menschen bis in unsere Zeit. Wenn sich zwei ärgern, freut sich der
Dritte!
Die in nächster Nähe der Brücke erbaute Personenhaltestelle wurde von
der damaligen, fast ausschließlich in der Landwirtschaft beschäftigten
Bevölkerung beider Gemeinden nicht sehr benützt, die damals noch an
Zahl geringen Bauarbeiter gingen wie seit altersher gewohnt und nicht
zuletzt des ersparenden Fahrpreises wegen zu Fuß zur Arbeit nach
Olmütz. Erst nach der Jahrhundertwende und noch mehr nach dem 1.
Weltkrieg hat die rapid zunehmende Bevölkerung und die aus ihr
hervorgegangenen Professionisten die Vorteile der Bahnfahrt erkannt.
Die Bahnhaltestelle wurde aber später zum Verhängnis der Nimlauer.
Darüber werden wir uns noch später unterhalten! Das auf der
gegenüberliegenden Seite erbaute Verladegeleise, ganz nahe an der
Ziegelei der Stadt Olmütz, in Gießhübel, wurde zumeist von der
Ziegelwerksverwaltung zur Anfuhr der Kohle und Abfuhr der gebrannten
Ziegel benützt. Die Gemeinden Nimlau und Gießhübel haben es nur ab und
zu beim Bezuge von Holz und Kohle sowie Rübenschnitzel und auch zur
Verladung von Häuptelkraut und Zuckerrüben in Anspruch genommen.
Etwas, was nur noch wenige Nimlauer wissen werden: Noch vor dem 1.
Weltkrieg hatte sich die Hatscheiner Zuckerfabrik (Friedrich und Franz
May, protokolllierte Firma „Gebrüder A.&H.May“) an dem Anbau der
Zuckerrübe in Nimlau stark interessiert. Sie stand damals in
Verhandlungen mit der Gemeinde, auf den zum Teil von ihr angekauften
Feldern hinter Fanni Zankel ein Verladegeleise zu erbauen, wo die für
die Hatscheiner Zuckerfabrik bestimmten Zuckerüben hätten verladen
werden können. Es wäre dies ein ungeheurer Vorteil für die Nimlauer
Rübenanbauer gewesen – auch eine eigene Ziegelei in der „Lehmgrube“ war
projektiert gewesen – aber einige an der landwirtschaftlichen
Zuckerfabrik in Holitz beteiligte Bauern sowie einige Anhänger dieser
Fabrik vereitelten den Plan des anderen „Lagers“, welche allein den
durch die Bahn-Überführung auf der Gemeinde lastenden „Fluch“ zum Wohle
der ganzen Gemeinde hätte bannen können.
16. Kapitel
Wollen wir doch noch allerhand erdenkliche
Hinterlassenschaften unserer Vorfahren in unser Gedächtnis zurückrufen:
Die auf der Westseite des Dorfes vorhandenen Lehmgruben stammen noch
zum Teil aus der Zeit der Ortsgründung vor achthundert Jahren. Bei der
Erbauung der Häuser, die zu den damaligen Zeiten nur aus Lehm gefertigt
wurden, hatte sich die Tonerde des von Nord nach Süd sich hinziehenden
Lößrückens am besten bewährt. Als erste entstand damals die große
Lehmgrube, die uns für immer unter dem Namen „Akazienhain“ in
Erinnerung verbleiben wird. Eine zweite, vielleicht noch größere
Lehmgrube entstand ebenfalls in damaliger Zeit auf dem Grundbesitz des
domkapitularischen Meierhofes, der sich bis an die Grenze von
Koschuschan erstreckte, später am Artillerieschießplatz als Kugelfang
diente und den Namen „Kugelberg“ erhielt.
Auch die vier Hohlwege, die noch bis in unsere Zeit befahren wurden,
stammten aus ältester Zeit. Sie waren erforderlich, damit man mit
möglichst geringer Steigung zu den „Oberen Feldern“ gelangen konnte.
Der aus dem Mittel- und Niederort durch das „Gassl“ führende Weg teilte
sich unmittelbar hinter dem damals noch nicht vorhandenem Bahnübergang
(Schranken) in zwei Teile: Der eine, von hier aus schräg auslaufende,
„Busch- oder Püschlweg“ durchschnitt „die Bergln“ und führte – in
letzter Zeit noch erkennbar – neben dem von uns noch benutzen Gehsteig
zum „Federweg“. Der zweite, nach links führende, bis zu zehn Meter
tiefe „Blatzer Weg“ verlief über den „Böhmischen Berg“ zu den
„Zuluss-Feldern“. Dieser Hohlweg war an beiden Hängen stark mit
Sträuchern bewachsen und bis in unserer Zeit für leichtes Fuhrwerk
benützbar geblieben. Auch der aus dem Oberort kommende und zwischen
Pawlak Franz und Steffe Hubert herausführende Weg teilte sich auch in
zwei Teile: Der eine, in der letzten Zeit noch gut erkennbare Weg, der
sogenannte „Holeier Weg“ führte wie die vorgenannten Wege schräg
aufwärts bis an „die langen Gewanden“ und führte von da aus, ein klein
wenig nach rechts abbiegend, in der Richtung „Marterl“ und nach
Nedweis. Der andere, bis zu acht Meter tiefe, auf beiden Hängen mit
Sträuchern bewachsene Weg, der „Pantschocha-Weg“, führte durch ein
schönes Flecken Erde vorbei an den „Oberen Lusen“ zum „Goldberg“.
Durch die Abgrabungen der angrenzenden Felder von Seiten des
Ziegelwerks war die Fahrrinne kaum noch erkennbar geworden. Gegen Ende
der siebziger Jahre kam die Nimlauer Gemeindevertretung zur Einsicht,
dass die vier Hohlwege für den immer stärker werdenden Anbau auf den
„Oberen Feldern“ (das waren die „Oberen-, Mittleren- und Niederen
Lussen“, die „Goldenen Berge“ und die Flur „Hinter der Alten Straßen“)
nicht mehr genügten, dem auf der schmalen, langen und unübersichtlichen
Wegsohle konnte immer nur ein Fuhrwerk fahren. Zwar war in der Mitte
eines jeden Weges eine kleine Ausweiche, aber trotzdem war es oft
vorgekommen, dass sich zwei schwerbeladene Wagen gegenüberstanden und
der von unten kommende nach rückwärts „zauchen“ musste. Meist war ein
tüchtiger Verdruß die Folge. Es wurde daher der neue breite Weg
angelegt und mit dem gewonnenen Erdreich dieser Weg auf einem Damm über
die Lehmgrube weitergeführt. An den Wegrändern und Hängen wurden
Kirschen und Akazien angepflanzt und so entstand unser schöner
Festplatz „Akazienhain“. Gleichzeitig wurde die Lehmgewinnung in dessen
Umgebung eingestellt.
Es wurden zwei neue Lehmgruben eröffnet, für den Oberort gleich hinter
der Pantschocha, für den Mittel- und Niederort neben dem neu angelegten
breiten Weg, wodurch der Holeier- und Püschlweg abgegraben werden
musste und zum Teil nicht mehr erkenntlich waren. Eine noch in
Benützung stehende Lehmgrube älterer Herkunft unterhalb der Felder
„Krügerpüschl“ (Kriegau, Grügau) will ich nicht unerwähnt lassen.
Die in den Weghängen des Lößrückens sowie am Kugelberg lebenden
Höhlhasen (Feldkaninchen) richteten zwar genug Schaden an, aber ihr
Dasein verschaffte unseren Jägern am frühen Morgen oder am späten Abend
ein Jagdvergnügen. Es wuchsen hier zur Freude der Jugend und der
Hausfrauen Erdbeeren, Brombeeren, Haselnüsse und Hagebutten, nicht zu
vergessen die Akazienblüten, die ausgebacken wurden. Schließlich
spendeten die Akazien im Sommer einen wohltuenden Schatten.
17. Kapitel
Wollen wir wieder eine kurze Zeit außerhalb des Dorfes und
die wohl größte Lehmgrube in unserem Bereich betrachten. Es ist das
Ziegelwerk. Ich habe schon einmal kurz erwähnt, dass es Eigentum der
Stadt Olmütz war. Der dazugehörige ausgedehnte Grundbesitz wurde vor
ungefähr 200 Jahren durch Zukauf von Bauernland geschaffen, ein
Ringofen und die dazu erforderlichen Gebäude erbaut und alles das der
Gemeinde Gießhübel, nachdem dieselbe im Jahre 1877 von der Gemeinde
Nimlau wieder losgelöst worden war, zugeschlagen.
Im Urbar des Jahres 1726 ist wörtlich zu lesen: „Unweit diesem Dorf
ist auch eine obrichkeitliche Ziegelscheun, welche vor urdenklichen
Jahren dahin gebaut worden und steht diese mehr gegen die Nimlauer als
Gießhübler Seiten.“
Gießhübel bildete von 1849 bis 1877 mit Nimlau eine politische Gemeinde.
Ein großer Teil dieses Grundbesitzes grenzte bis an den Garten des
Adolf Strnisko. Dieses Feld wurde beim Bau der Bahn im Jahre 1870 vom
Werk abgeschnitten, dem Nimlauer Katastralgebiet einverleibt und kam
den tschechischen Machthabern in die Hände gefallenen Stadt Olmütz nach
dem ersten Weltkrieg zugute, denn auf diesem Gebiet wurde auf Grund des
Tschechisierungsprogramms eine tschechische Schule und eine
tschechische Siedlung – im Volksmund Brutanstalt genannt – erbaut,
welche damit der Gemeinde zur Last fielen. Dieses Geschehnis wurde
unserem Dorfe zum Verhängnis.
Wenn ich heute auf die Vorkommnisse in der Ziegelei eingehe, so nur
deshalb, weil ich und alle in der Pantschocha aufgewachsenen
Dorfbewohner mit den Ziegelarbeitern von damals eng verbunden waren.
Alles Tun und Lassen in der Ziegelei geschah ja doch unmittelbar vor
unseren Augen. Greifen jetzt meine Gedanken bis in die Kindheit zurück,
so sehe ich ein ganz anderes Bild vor mir, als jenes, das wir im Jahre
1946 beim Verlassen unserer Heimat gesehen haben. Schon die Namen der
dort Beschäftigten bewiesen es, dass sie deutscher Abstammung waren,
wie zum Beispiel die Gehr, Grund, Reichl, Rotter, Ulrich u. a. m. Ein
großer Teil von diesen hat später das Werk verlassen und sie wurden
nach 1918 durch Tschechen ersetzt. Die Ziegelei wurde schon beim Ausbau
der Stadt Olmütz zur Festung (Mitte des 18. Jahrhunderts) und bei der
Erbauung des Lagerforts auf dem Goldberg sehr in Anspruch genommen,
noch mehr aber bei der in den 1880er Jahren einsetzenden und nie mehr
abreißenden Stadterweiterung. Nach der Jahrhundertwende begann erst
ihre richtige Glanzeit. Der Bedarf an Ziegeln wurde damals riesengroß.
Es wurden im Jahresdurchschnitt 4 Millionen Ziegel hergestellt und die
hierzu erforderliche Lehmmenge betrug 16.000 Kubikmeter. Sie war bald
erschöpft und die Stadtgemeinde Olmütz sah sich damals gezwungen, durch
überhöhte Kaufangebote die nahe gelegenen Felder „Auf den Lagern“ den
Nimlauer Bauern abzuhandeln. Das gelang ihr auch teilweise. Der damals
noch junge Bauer Richard Kluger aus Nimlau war der Mann, der sich trotz
dem verlockenden Angebote nicht verleiten ließ, sein Feld, den „Langen
Berg“, das ganz nahe der Pantschocha-Grenze lag, zu verkaufen. Ja, zum
Trotz bepflanzte er das ganze Feld mit Obstbäumen. Wären alle Bauern
damals so standfest geblieben, wäre uns später viel Verdruß erspart
geblieben.
Das Abschachten des neu erworbenen Gebietes links vom Pantschocha-Weg
nahm bald großen Umfang an und das Bild veränderte sich von Jahr zu
Jahr. Die Zufuhr des Rohmaterials zur Lehmgrube erfolgte damals durch
den Italiener Costa mittels Einspänner-Kippwagen, auch wurden während
der Winterszeit alle verfügbaren Arbeitskräfte, Männer und Frauen, für
die Zubringung auf Schubkarren (Scheibtrugeln) eingesetzt. Nach einigen
Jahren war von dem bis zu 8 Meter tiefen, von der Pantschocha zum
Goldberg führenden Hohlweg nur noch der obere Ausgang und die Fahrrinne
erkennbar. Alle Herrlichkeit, welche dieser mit den verschiedenen
Sträuchern bewachsene Hohlweg bot, war dahin. Dahin das Vogelparadies,
die Freude für die Jugend, die Wonne Erholung suchender Spaziergänger!
Nach dem Kriege verließ der Frächter Costa das Werk und zog mit seiner
Familie in seine italienische Heimat. Der Lehm, der schon von sehr weit
anzufahren war, wurde mittels Feldbahngeleisen und eisernen Kippwagen
(Loren) durchgeführt. Das ganze Gebiet beiderseits des
Pantschocha-Weges hatte eine große Veränderung erfahren, Aus dem
schönen, ertragreichen Ackerland ergab sich nach der in einer Stärke
von 10 Metern durchgeführte Abschachtung eine tief gelegene Sandwüste.
Da der Sand für die Ziegelherstellung nicht mehr geeignet war, wurde
das so rechts des Weges entstandene Brachland mit Kiefersetzlingen
bepflanzt, die einmal einen Wald ergeben sollten.
Das Ziegelschlagen war für jeden Menschen, der oben unbeteiligt auf der
Straße einherschritt, ein „schönes Spiel“, aber es war im Grunde
ziemlich schwer, besonders für den Mann, der den „Teig“ herstellen
musste. Auch wir Kinder aus der Pantschocha haben beim Aufstellen und
Einräumen der Ziegel einige Kreuzer für das „Birnegassl“ und für das
Schulfest verdient. In unserer Kindheit waren hier noch schöne
Spielplätze, wo man, ohne Furcht haben zu müssen, ein Fenster
einzuschlagen, „Titschkela“ und „Lauf Meter“ spielen konnte.
Nach dem 2. Weltkrieg hat sich jeder tschechische Ziegeleiarbeiter ein
Haus aus deutschem Besitz angeeignet. Jeder ließ den Herrgott einen
wohlgefälligen Mann sein. Vielleicht macht er heute die Ziegel allein
weiter?
18. Kapitel
Verzeihet mir, wenn ich infolge des Ablebens meines Bruders
an Stelle der von mir in unserem Heimatblatt allmonatlich gebrachten
Erinnerungen aus der alten Heimat heute seiner mit einigen Worten
gedenke. Mein Bruder Franz Hlawatsch, geboren am 24. August 1897 in
Nimlau, ist am Donnerstag, dem 18. August in Aalen infolge eines
Herzschlages gestorben. Er hinterlässt die Frau Maria Hlawatsch, geb.
Rypar, vier Kinder und 8 Enkelkinder sowie 5 Geschwister. Sein
plötzlicher Tod hat ein schweres Leid in den Herzen seiner
Hinterbliebenen hervorgerufen, denn er war der Älteste und galt als
Eckpfeiler der einst so kinderreichen Familie Hlawatsch.
Nach einem nicht alllzuleichten Hirnschlag im Sommer 1957 war er
gezwungen, jeden Lärm und jedes größere Ereignis zu meiden und suchte
nur die Ruhe unter den Seinen; sein Lebenswille führte sogar zu einer
Besserung seines Zustandes. In der Woche vor dem Olmützer Treffen in
Nördlingen aber musste er wegen erneuten Unwohlseins die Arbeit
aufgeben und sein Arzt gab ihm zu wissen, dass er die Wohnung nicht
verlassen dürfe. Aber die Sehnsucht, mit seinen lieben Nimlauern ein
Wiedersehen feiern zu dürfen, stärkte ihn. Er kam nach Nördlingen und
freute sich überaus, mit beinahe 100 Menschen aus Nimlau dieses
festliche Ereignis begehen zu dürfen. Auch ich war einer von denen die
sich mit ihm freuten, ohne auch nur eine Ahnung zu haben, dass dieses
wohl sein letztes Wiedersehen sein wird. So sind alle Bekannten, denen
er die Hand zum Gruße reichte, von seinem plötzlichen Ableben sehr
betroffen. Die ganze Verwandtschaft, die in der Bundesrepublick eine
neue Bleibe gefunden hat, alle aus Nimlau und dem Olmützer Land
stammenden, in Aalen wohnhaften Landsleute sowie eine große Zahl seiner
Arbeitskollegen waren gekommen, um ihn auf seinem letzten Weg zu
begleichen und ihm die letzte Ehre zu erweisen.
Während der Einsegnung in der Friedhofskapelle spielte die Musikkapelle
seines Betriebes (der US.-Instandsetzungsbetrieb in Gmünd) das Heilig,
Heilig aus der Deutschen Messe von Franz Schubert. Die Klänge bewegten
jeden zutiefst, die Herzen wurden weich, die Last des Leidens verteilte
sich auf alle Anwesenden. Nun trat der Tote seinen letzten Weg durch
die Stille des Waldfriedhofes an, gefolgt von seinen Angehörigen,
Verwandten und Bekannten. Sodann wurde der Sarg in das Grab gesenkt.
Der Tote: Mann, Vater, Bruder und Freund ging ein zur ewigen Ruhe. Nach
einer kurzen Ansprache und einer Danksagung im Namen der
Hinterbliebenen durch den Geistlichen überbrachte der Betriebsrat die
letzen Grüße seiner Arbeitskollegen und zum Abschied spielte die
Musikkapelle das Lied vom guten Kameraden. Die durch die Bäume
blitzenden Sonnenstrahlen drangen bis in die Tiefe des Grabes. Nach
einer achtwöchingen Regenzeit war wohl dieser schöne Tag gleichsam ein
Gotteslohn für seine guten Taten auf Erden.
Meine lieben Nimlauer, den wir soeben zur ewigen Ruhe gebettet haben,
habt ihr alle gekannt, war ja auch er weit über die Grenzen unseres
Heimatdorfes hinaus bekannt. Gleich nach seiner Schulzeit ging er auf
drei Jahre nach Freudenthal und erlernte dort mit bestem Erfolg den
Beruf eines Sattlers und Tapezierers. In seinen jungen Jahren – hierher
gehören auch vier Jahre des 1. Weltkrieges – hatte er Erlebnisse und
Begegnungen gehabt, die sein Gewissen wachriefen und ihn lehrten, das
Recht vom Unrecht zu unterscheiden. Er hat es für seine Menschenpflicht
angesehen, für das Recht jederzeit einzutreten. Er ging diesen in
dieser Zeit wohl harten Weg unbeirrbar und war gewillt gewesen, für die
Gerechtigkeit sein Leben hinzugeben. Meine Lieben, sollte mein Bruder
jemanden in seiner Ehre gekränkt haben, so bitte ich euch, ihm das
nicht nachzutragen. Er war uns ein guter Mann, Vater, Sohn, Bruder und
Freund. Wir wollen ihn bei jedem sich bietenden Anlaß in unser Gebet
einschließen und ihm ein treues Andenken bewahren! Nur durch dieses
können wir ihm, dem aus unseren Reihen Dahingegangenen, für alles Gute,
das er uns getan hat, unseren Dank abstatten; so wird er unter uns
weiterleben und als eines der edelsten Glieder unserer Gemeinschaft
verbleiben. Die letzten Grüße sendet ihm die ganze Bevölkerung von
Nimlau.
19. Kapitel
Nachdem ich euch bisher außerhalb unseres Heimatortes
gelegene alte Überlieferungen in Erinnerung gebracht habe, will ich
versuchen auch in seinem Inneren gelegene alte Dinge in Euch
wachzurufen. Vielleicht gelingt es mir, durch einen Blick in die
Vergangenheit sogar auch bisher verborgene Sachen an das Tageslicht zu
bringen. Von größeren Ereignissen in Nimlau habe ich schon früher
berichtet und wenn ich kurz auf die Dorfanlage eingehe, so muß ich
sagen, dass die Gründer des Dorfes vor fast 830 Jahren gute Pläne
hatten und ausführten. Der Kern des Dorfes waren die zu beiden Seiten
einer breiten Dorfstraße von Steffe bis Thomas (Gemeindevorsteher)
rechter und linker Hand erbauten Bauernhäuser und Gärtleranwesen. Deren
Stallungen waren durchwegs der Sonne zu – nach Süden – gerichtet und
die zum Anwesen gehörenden Gärten wurden nach „Hintennaus“ durch die
Scheuer abgegrenzt. So wurde ein Einblick in das Innere des Hofes
unmöglich gemacht. Die Häusler – einst Inleute oder Ingesind genannt –
waren die bei den Bauern gegen Deputat und Lohn arbeitenden
Ortsbewohner. Sie mussten ihre kleinen Häuser, „Häuseln“ genannt, eng
aneinander gereiht, auf Gemeindegrund (Rustikalisten) und Herrengrund –
in unserem Falle Grund des domkapitularischen Präbendehofs –
(Dominikalisten) erbauen, weil die Grundbesitzer auch ihren
Mitarbeitern keine Baugründe abgaben.
Das alte Nimlau hatte bis zum Jahre 1870 88 Hausnummern und zeigte noch
bis zu diesem Jahr sein altes patriarchalisches Bild. Beginnend mit dem
Schulneubau, der Erbauung des Gemeindehauses, durch die Errichtung
einiger kleinen Häuser sowie durch Häuserteilungen veränderte sich das
Dorfbild zusehends: Bei der Volkszählung des Jahres 1910 hatte Nimlau
schon 106 Hausnummern und 1012 Einwohner. Bald war das Dorf
übervölkert, der Ausbruch aus der alten Dorfanlage wurde durch Alois
Strnisko vollzogen, welcher auf dem nach Olmütz-Powel führenden Weg ein
einstöckiges Haus aufführte und im Jahre 1930 gab es schon 130
Hausnummern.
Unser Heimatdorf Nimlau war wegen seiner günstigen Lage an der Bahn
Brünn-Proßnitz-Olmütz und seiner geringen Entfernung von Olmütz (nicht
ganz 4 Km) immer im Blickpunkt der engeren und weitern Nachbarschaft.
Viele haben es so angenehm empfunden, weil hier Lebensfreude und
Verträglichkeit zuhause war. Sie machten sich hier ansässig und
verwuchsen mit der Dorfgemeinschaft. Da die Gemeinde nur wenig
Gewerbetreibende und Geschäftsleute aufzuweisen hatte, wurde aus
auswärtigen Menschen deutscher und hannakischer Herkunft die
Gelegenheit gegeben, hier ihrem Berufe nachzugehen. Sie gingen in den
althergebrachten Lebensgewohnheiten des Dorfes auf, sprachen seine
Mundart und wurden auch in die Gemeinschaft der Sippen aufgenommen,
wenn sie einheirateten.
Was Ihr vielleicht noch nicht bemerkt haben dürftet: Alle
Eingewanderten hießen Johann. So zum Beispiel: Haas Johann
(Lebensmittel), Sander Johann, Lebensmittel), Indrak Johann
(Fleischermeister), Sklenar Johann (Bäckermeister), Kohn Johann
(Schuhmachermeister), Kropac Johann (Schneidermeister), Gabriel Johann
(Schmiedemeister), Gabriel Johann, (Bindermeister), König Johann
(Wagnermeister), Franz Johann (Wagnermeister), Beutel Johann (Müller),
Ženžak Johann (Landwirt) und Kruschil Johann (Landwirt). Schon damals
war offensichtlich, dass alle in Nimlau ansässig gewordenen Menschen
den Anforderungen der Bevölkerung Rechnung getragen und durchweg zum
Wohle der Gemeinde mitgearbeitet haben. Johann Ženžak wurde anlässlich
der Volkszählung in den 1930er Jahren mit einer Strafe von Kc 400
belegt, weil er sich als Deutscher bekannt hat, obwohl er gebürtiger
Hannake war: Alle aus dessen Ehe und anderen ähnlichen Ehen
hervorgegangenen Kinder besuchten die deutsche Volksschule und wurden
auch mitsamt ihren Eltern ausgewiesen.
Vielleicht werden Euch auch die Namen der Lehrkräfte interessieren,
welche in Nimlau gewirkt haben:
Nawratil Franz, geb. aus Koschuschan, Schulleiter 1861-1887
Grohs Josef, geb. aus Meedl Unterlehrer 1876- 1884
Felkl, Alois, geb. aus Hennersdorf Oberlehrer 1883- 1921
Klar Franz, geb. aus Olmütz Unterlehrer 1884-1890
Repper Justus, geb. aus Leipnik Lehrer 1890-1900
Vieweger Franz, geb. aus Irmsdorf Lehrer 1900-1906
Peschek Edmund Lehrer 1906- 1936 Oberlehrer seit 1936
Pika Anton Oberlehrer 1922-1936
20. Kapitel
Mit einem Beitrag bleibe ich heute im engsten Kreis meiner Familie.
Meine Frau und ich haben vor einigen Tagen das sechzigste Lebensjahr
erreicht und damit auch den größten Teil unseres Lebens hinter sich
gebracht. Mit freudigem Herzen wollen wir dem Herrgott für unser Leben
und die Erhaltung unserer Gesundheit den aufrichtigsten Dank zum
Ausdruck bringen. Wir sind auch gewillt, noch einige Jahrzehnte unter
Euch zu verbleiben und mit Euch Freud und Leid zu teilen. Meine Frau
und ich wünschen allen, die in diesem Jahr das gleiche Lebensjahr
erreichen, alles Gute für die Zukunft und einen schönen, mit Freuden
angefüllten Lebensabend.
An kurzen Ausschnitt aus man Leben
Willich eich heit zum Lesn geben:
Sechzig Joha sein schun vegonga
Ols ich mei Leben ho ogefonga. OHNE an Kleidl un` ohne Geld
kom ich domols auf de Welt.
Ich was es nouch ols wär es heit,
wie sich mei Mutte hout gefreit,
olla hon helauf geloch ols Glaude Basl mich hout gebrocht.
Ich woa de vierte a de Reih
Und viere komen nouch hinte drei.
A Madl woas un`siebn Bubm,
wenn olla dou woan, woa vul die Stubn.
Es wor holt su zu derer Zeit:
Kinde komen nur zu die ormen Leit;
Drum woa me olla, ich was gewis,
uf de Glaude Basl zimlich bies.
Mei Weg woa hoat getränkt mit Schweis,
wos ich mich zu erinnern weis.
Ols Kind kon ich jo nie viel sougn,
ich was, ich kunt mich nie beklougen.
Kaum woa ich an Mete grus, dou gings Theater mit mir schun lus.
Zum Spiel, dou fehlte uns die Zeit,
dos hät und kinde oft gefreit.
Um drei Uhr woa die Schule aus
Dou must ich glei ufn Oke naus,
Futte huln für Hos un` Ziegn
un` nouchher a nouch Kinde wiegn, Es gob ka Rost, es gob ka Ruhn,
den gonzen Tog woa woe zu tun.
Betn hies es voa dem Essen,
wis uns geschmeckt hout we ich nie vergessen:
Die Erpltunk, des mus ich sougn,
kon ich bis heit nouch nie vertrougen;
A Fleisch, a Knöidl und a Kraut,
des ho ich immer gut vedaut.
Mit lauter solcher Tandlerei
Ging die Schulzeit schnell vorbei.
Die Blite meiner Kindzeit
Hout mich truzdem sehr gereit.
Don kom der Krieg ihr lieben Leit,
der brach mir Kumme und nie an Fried.
Ich was es nouch, des woa a Nut,
dou gobs nur Erpl und seltn Brut.
Aich ich must naus und tot mei Pflicht,
gewunna homme na trutzdem nicht.
A Schuß im Orm, dos woa mei Glück,
don woa re aus un`ich kom zurück.
Jetzt fing a neies Leben on,
ich lernte do gleich Zimmemon.
Auch must ich don nouch ungefähr
A gonzes Joha zum tschechischen Militär.
Don glaubte ich: Jetzt bist du frei,
dos Schwerste hätst du jetzt vorbei.
Doch was ich nouch wies domols woa,
mei Mutte sogt mir leis ins Oha:
„Du bist gesund, bist stork un` gruß,
am liebstn hät ich dich schun lus.“
Ich lochte wie a keische Monn,
es half holt nix.ich woa jetzt dron.
„Brauchst nie zu schan a nie zu lochen,
mochs holt wies die onden mochn!“
Viel Winsch un`auch ihrn Segen
Hot sie mir aufn Weg mitgebn.
Dos Glick, dos stond uf meinr Seit
Und schenkte mir dou gle a Maid,
ich woa erfilt vol Liebeskumma
un ho me sa glei zum Weib genumma,
sie woa mei Weib un` ich ihr Monn,
für uns fing jetzt de Summa on.
Ich was es nouch ols wär es heit,
aus woas mit der Frielingszeit.
Die Hebam hout uns glei a Kind gebrocht,
dos hot me schun su ausgemocht.
Dos hout sich öfters wiederholt,
wos wir bestimmt nie hongewolt;
Kinde komen auch zu dieser Zeit
Wiede nur zu orma Leit.
Ohne dou a Wort zu sougn Homme olles leicht ertrougen,
um zu erreichen unser Ziel,
woa uns a Orbeit nie zuviel,
mir hon auch stets auf Gott vertraut
un` hon uns ach a Haus gebaut.
Ich tot gern singa un` tot gern lochn
Un` jeden Mensch a Freide mochn,
an guten Witz ho ich fürs Leben
dem Nächsten gern zum besten gebn.
So lebtn wir in einem fort
In unserm schönen Heimatort.
Don kom a Zeit wos jeder was
Die mochte nur so monchn Spaß.
Un` kaum verging a holbes Joha
Do wurde uns don olles kloa.
Auch ich musst raus zu diesem Ringen
Un` kunt eich keinen Sieg mitbringen.
Vergessen wer ich nie die Zeit
Ols uns die Sieger vu ol befreit.
Vu dieser Zeit, dou schweig ich stil,
dou denk sich jeder wos er will,
ich kom auch nouch, häts nie erhoft,
nach Auschwitz in Gefongenschoft.
Vu dort aus ging es mit Bedacht
Nach Ostrau in den Kohlenschacht.
A Joha darauf, ich kunts kaum Fassen,
don hon sa mich an Ham gelossn,
don wurdn wir, wie eich bekont,
ausgesiedelt in dos deizsche Lond.
Hier sucht ich sie un` fand si doch,
beide Söhne, sie lebten noch.
Wir worn glicklich un` zufriedn
un` sind es auch bis heit geblieben.
Nun sind wir hier schun vierzehn Joha,
am libsten wär ich es wär die Hälft nie woa.
21. Kapitel
Friede den Menschen auf Erden! Das ist wohl der beste Wunsch
zum Weihnachtsfest. Der Frieden wäre wohl das schönste Geschenk für die
ganze Menschheit. Aber bevor wir dieses Fest feiern, wollen wir, dass
sich unsere Gedanken in diesem Wunsch vereinen, um den Herrgott zu
bitten, er möge den an der stehenden Menschen den Mut einflößen, auf
dass sie uns das so schwer verletzte Recht wiederherstellen und den
schon lange ersehnten Frieden wiedergeben, denn nur der Friede kann dem
bevorstehenden Fest Glanz und Würde verleihen. Beinahe 50 Jahre sind
vergangen, seitdem wir das Weihnachtsfest in Frieden und Freiheit, mit
Liebe und Freude begehen durften. War zu damaliger Zeit ein kleiner
Zwist in der Gemeinde unvermeidlich, so waren doch die Einwohner um des
Friedens willen entschlossen, sich nicht nur äußerlich, sondern auch
innerlich zu reinigen, die Hände zum Frieden zu reichen, denn ihnen war
der Weihnachtsfriede heilig. Sie waren von dem Willen beseelt, reinen
Herzens vor Gott zu treten, um ihm für alles im ablaufenden Jahr
empfangene Gut zu danken.
In unserer alten Heimat begingen wir unsere Feste in feierlichster
Weise. Wenn wir unsere Gedanken in diese Zeit führen, so werden wir
unvergleichliche Bilder vor unseren Augen haben. Es waren in unserem
Dorf zahlreiche Familien mit acht und noch mehr Kindern, die in einer
Stube, bei einem Tisch unter einem Tannenbaum das Weihnachtsfest
erleben durften. Ein jedes der Kinder hatte seinen Teller mit Backwerk,
Nüssen, Äpfeln, Feigen und Pumerantschen, das eine oder andere auch ein
Päckchen mit den notwendigsten Winter-Bekleidungsstücken. Wohlgemerkt,
das eine oder andere Kind, und man braucht es nicht zu verheimlichen,
dass die Eltern nicht in der Lage waren jeden Wunsch ihrer Kinder zu
erfüllen. Sie mussten vorerst bedacht sein, die Mäuler zu sättigen
zumal sich der Hunger bei solch einer Kinderschar früher eingeschlichen
hätte als jedes andere Verlangen. Nach einigen Stunden lautester
Kinderfreude und nach dem Genuß der guten Dinge hatte sich ein Kind
nach dem anderen gesättigt und mit den Geschenken auf dem Arm zur Ruhe
begeben.
Noch vor dem Morgengrauen des nächsten Tages, der Sterne Pracht
glitzerte noch am Himmel, begaben sich die meisten Einwohner des
Kirchspiels aus Gießhübel, Nedweis, Nimlau und Schnobolin, mit Laternen
ausgerüstet, auf den Weg zur Pfarrkirche von Schnobolin um dem
einzigartigen Gottesdienst der Christmette beizuwohnen und mit den
heimatlichen Weihnachtsliedern dem Glücksgefühl der heimatlichen
Weihnachtszeit Ausdruck zu geben. Unsere Christmetten waren daheim
schon ein Erlebnis an das sich viele erhebende Erinnerungen knüpften
und in der Vertreibung ist uns diese Erinnerung ein köstlicher Trost.
Ich will hier noch versuchen, bei meinen älteren Landsleuten aus
Olmütz-Land die Erinnerung an eine öffentliche Weihnachtsfeier zu
wecken. In einer Zeit, da wir von den Tschechen aufs schwerste bedrängt
wurden, hatten einige beherzte Männer, die zur Betreung unseres
Volkstums berufen waren zu einer Weihnachtsfeier auf der Nordseite des
Oberrings alle Menschen aus Stadt und Land eingeladen. Eine schier
unübersehbare Menschenmenge war dem Rufe gefolgt und hatte sich um den
Lichterbaum geschart. Nicht nur Deutsche, sondern auch Tschechen waren
gekommen, um die Worte der Redner zu vernehmen. Die Redner mahnten,
sich nicht in Tagen der Weihnachtsbotschaft das Leben schwer zu machen
und darüber hinaus stets miteinander in Liebe und Frieden zu leben. Der
damalige Musikdirektor Josef Heidegger hatte aus diesem Anlaß einen auf
diese Weihnachtsfeier bezughabenden Chor komponiert, den er hier als
Chormeister des Olmützer Männergesangvereines mit einem aus allen
Sängern von Olmütz und Umgebung zusammengesetzten Massenchor zu Gehör
brachte. Der mächtige Chor, dessen Wirkung sich auch das verhärtete
Gemüt eines Chauvinisten nicht verschließen hätte dürfen, durchbrach
die Stille der Nacht und drang hinauf zum Himmel. Die Weihnachtsfeier
war im Grunde auch für die Tschechen bestimmt, denn in letzter Stunde
ertönte hier der Ruf zum Verstehen und Vertrauen; aber alle die
beherzten, aufrichtigen, trefflichen und erhebenden Worte wurden vom
Winde verweht. Und so geschah es , dass gerade da die Ernte der Jahre
1938, 1939, 1945 und 1948 keimte.
22. Kapitel
Zum neuen Jahr werde ich aus dem tiefsten Inneren heraus
bewogen, vorerst aller jener zu gedenken, die im vergangenen Jahre
unsere Reihen verlassen haben. Ich richte daher auch an Euch die Bitte,
bei gegebenen Anlasse das Gleiche zu tun; wir wollen und dürfen sie
nicht vergessen, sie waren unsere lieben Mitbürger, die mit und neben
uns die guten und schlechten Zeiten durchschritten haben. Sie waren so
wie wir schuldlos, die wir aus der Heimat vertrieben wurden. Nach dem
Ableben eines jeden einzelnen Einwohners von Nimlau wird uns immer
klar, welch ein edles Gut, ein Stück der Heimat, wir verloren haben.
Der Antichrist geht auch unter uns Vertriebenen herum und möchte haben,
dass bald das letzte Stück schöner Erinnerung an die alte Heimat
verblasst. Aber so leicht wollen wir es ihm nicht machen, wissen wir
doch, dass diese Erinnerung unser höchstes Gut auf Erden ist, aus
welchem uns niemand auf Erden – wenn wir dies nicht selbst wollen –
vertreiben kann. So wie in der alten Heimat ist auch hier der Winter
die geeignetste Zeit, Rückblick zu halten und der Heimat zu gedenken.
Besonders der Monat Jänner war jener Kalenderabschnitt, in dem sich
jeder Nimlauer, ob arm oder reich, nach schwerster Arbeit im
vergangenen Jahr nach Ruhe und Entspannung sehnte. So wurde in jedem
Haus auch nur die notwendigste Arbeit verrichtet und ein jeder war
bestrebt, sich ein Vergnügen nach seiner Art zu gestatten. Es kamen
Sitten und Gebräuche zur Geltung, welche den meisten viel Freude
bereiteten, wenn man nur verstand, hierzu die richtige Zeit zu finden
und Freude daran zu haben. Nicht immer waren dies die Reichsten. Viele
andere konnten fröhlicher sein. Heute noch muß ich vor mich hin lachen,
wenn ich sie so vor mir sehe, ihre freudebringenden und witzigen Worte
höre!
Heute will ich euch nur einen einzigen Tag aus meiner Kindheit – sie
fiel in die Zeit vor dem 1. Weltkrieg – vor Augen führen. Damals gab es
im Dorfe noch keine elektrische Beleuchtung und nur etwa 10 bis 12
Petroleumlampen sorgten für die Erleuchtung der wichtigsten
Verkehrswege im Orte. Der damals uns noch gut bekannte “Stuppl
Schuster“ (Cyrill Strnisko) war von der Gemeinde beauftragt, für die
Instandhaltung der Ortsbeleuchtung zu sorgen. Dieser Mann, der in der
Zeit der langen Nächte alltäglich mit einem Zylinderputzer durch den
Ort eilte, war gewissenhaft bestrebt, seine Verpflichtung zu erfüllen.
War es ihm in ruhigen Nächten noch möglich, den Weg von einer Lampe zur
anderen zu finden, so war ihm dies in der Rabenschwarzen Sturmnacht
nicht allein möglich, vielmehr gelang es ihm nicht, wenn er schon eine
Lampe ausgemacht hatte, dieselbe anzuzünden und so lang das Dorf gar
oft in das Dunkel der Nacht gehüllt. Das Tosen des Sturmes und das
Rauschen der hohen Bäume in Sauers Garten wirkte furchterregend auf alt
und jung, kein Mensch wagte sich auf die Dorfstraße und ein jeder
suchte Schutz in seinem Hause: Die Erinnerung an das Unglücksjahr 1672,
da das ganze Dorf durch eine vom Sturme begünstigte Feuersbrunst in
Schutt und Asche gelegt worden war, lag den Alten noch in den Knochen.
Es wurde in den Öfen das Feuer gelöscht bzw. keines angezündet und nur
die für alle Fälle bereitgehaltene Sturmlaterne war das einzige Licht
im Haus. Eltern, Kinder und das Gesinde setzten sich in die Stube eng
aneinander und keiner war zum Schlafen zu bewegen. Alles betete laut
den Rosenkranz, flehte um Erbarmen und Gnade. So mancher wurde dort wo
er saß oder kauerte, in vorgerückter Stunde erst vom Schlaf übermannt.
Solchen stürmischen Nächten folgte aber meist ein gesegneter Tag mit
blauem Himmel und Sonnenschein. Wir alle danken Gott dem Herrn und von
der Furcht befreit, kehrte die Freude und Lebenslust in den Herzen alle
ein. Am 1. November 1921 ist die Gemeinde das erste Mal elektrisch
beleuchtet worden, das Amt des gemeindlichen Lampenanzünders ist
erloschen und auch die Furcht vor den stürmischen und dunklen Nächten.
Nur die Sturmlaterne wurde aber als unersetzliches Requisit aufbewahrt
und für schlimme Zeiten bereitgestellt.
Liebe Nimlauer, gewiss wird der eine oder der andere von Euch Fotos von
Nimlau aufbewahrt haben wie z. B. vom ganzen Ort, von einzelnen
Ortsteilen, vom Ortsrande, von der nächsten Umgebung, von kirchlichen
Festen, Schul- und Vereinsveranstaltungen, von alten Ansassen, Männern
und Frauen in der Dorftracht und manch andere. Denket daran, dass wir
diese euren Kindern und Kindeskindern zum Gedächtnis in den Olmützer
Blättern zu veröffenlichen gedenken. Stellet uns solche Fotos zur
Verfügung, ein jeder erhält sie nach Abdruck zurück!
23. Kapitel
Nicht allzu schlecht waren die Gedanken unserer Vorfahren,
als sie die Festtage des Jahres gut verteilten, den Fasching während
der Winterszeit ansetzten. Auch bei uns in der alten Heimat haben
unsere Landsleute diese schöne Einrichtung zu schätzen gewusst und sie
bis zur Neige ausgekostet, denn zum Tanzen brauchte man sie nicht zu
ermuntern, das lag ihnen schon im Blut. War nur irgendwo im Dorf ein
Leierkasten zu hören, so wurde schon „gefleckelt“ aufs Teufelholen. Es
war alles eine liebe Gewohnheit, sich zur Veranstaltung von
Faschingsunterhaltungen zu vereinigen: Nicht nur an einem, nein,
bereits an jedem Samstag ging es während dieser Zeit lustig zu. Ich
habe euch schon im Vorjahre einen Veteranen-Ball in der damaligen Zeit
beschrieben. Nie mehr im Leben werden wir so etwas wieder zu sehen
bekommen, es war ein herrlicher Anblick!
Heute will ich euch eine andere Gemeinschaft lebensfroher Nimlauer von
damals beschreiben. Es war die der „Bund deutscher Petersel-Weiber aus
Nimlau und Umgebung“. Sie trugen noch keine Uniform, aber bei ihren
Feierlichkeiten waren sie durch einen auf der Brust angesteckten Strauß
aus Petersel-Grün gekennzeichnet. Der Petersel-Ball war für die
damaligen Ortsbewohner der älteren Generation ein alljährliches
Erlebnis, bei welchem ledige Mädchen unerwünscht, dafür aber die
Burschen herzlich willkommen waren. Schon am Nachmittag während der
Vorbereitungen und bei der Ausschmückung des Saales ging es schon bunt
zu, das Seitelglas ging von Hand zu Hand und von Mund zu Mund der schon
in Schwung gekommenen Petersel-Weiber, die schon seit geraumer Zeit für
den Frohsinn und die Ausgelassenheit bestens vorgesorgt hatten. Der
„offizielle“ Teil verlief so wie auf jedem anderen Ball, auch hier
wurden die Männer mit bunten „Orden“ behängt und die Brust der Frauen
mit schönen Sträußen für den „Sträußchen-Walzer“ geschmückt. Um
Mitternacht wurde die Frau, die die schönste und längste Petersel – nur
solche konnten an den Wochenmarkttagen in Olmütz Käufer finden –
aufzuweisen hatte, zur Königin ausgerufen: sie und ihr Tanzpartner
durften einen „Solo-Walzer“ tanzen. Hernach war Pause, allgemeine
Fütterung – und nach der Stärkung folgte der gemütliche Teil und es
ertönte durch den Saal der Ruf: Zwei Stunden Damenwahl! Die Männer die
das schon erlebt haben und noch unter den Lebenden weilen wissen, was
sich in diesen zwei Stunden zutrug.
Die jetzt los- und ausgelassenen Petersel-Weiber kosteten sie weidlich
aus. Die Mieder wurden gelockert, das Vordergestell freigelegt und nun
wurde gejuchst und getanzt bis zum Umfallen. So mancher Ehemann war
gezwungen das Gleiche zu tun, wenn er nicht gleich kapitulieren wollte;
jetzt waren sie den Burschen dankbar, die sich ihrer erbarmten und mit
den Frauen einige Walzer tanzten. Nach zweistündigem Tanz waren deren
langersehnter Traum zu Ende. Die Männer saßen nun hinter den Tischen
und auch die nun zahm gewordenen Frauen suchte ein ruhiges Plätzchen
auf, um ihren Puls auf normale Schläge zu bringen. Nach der so
notwendigen Pause folgte der „Losungs-Walzer“, welcher viel Freude und
Heiterkeit hervorrief. Nachdem die Teilnehmer wieder ihr Gleichgewicht
gefunden hatten ging es im Schwung der Polka-, Walzer- und
Ländlermelodien weiter.
Zur fortgeschrittenen Zeit war auch der „Polster-Tanz“ fällig. Die
älteren unter uns kennen ja den Vorgang dieses überaus beliebten
Tanzes. Denen, die ihn nicht kennen und auch noch nicht gesehen haben,
will ich einige Figuren aus dem Tanz beschreiben, zu dem ein
unvollständiger Walzer gespielt wurde. Ein Mann und eine Frau saßen
mitten im Saal mit einer Flasche Schnaps, zwei Tellern und zwei
„Stamperln“. Die Königin kam mit einem schneeweißen Polster und suchte
sich einen ihr gut gesinnten Mann (zumeist aber nicht ihren Ehemann).
Sie legte den Polster vor ihn, kniete sich darauf und bat den Mann um
einen Kuß und Tanz. Der Mann kniete auch nieder, umarmte die Frau und
sie küssten sich herzhaft, tanzten einige Takte Walzer und tranken
gemeinsam einen Schnaps. Sodann nahm der Tänzer den Polster und es
folgte der gleiche Vorgang; die Tänzerin holte sich einen neuen Tänzer,
der Tänzer eine Frau und so fort. Die Zeche zahlte der Mann. So harmlos
ging es aber nicht immer aus: Die Leute wollten lachen und es kam auch
vor, dass ein Tänzer den Polster vor eine Tänzerin legte und sich
darauf kniete, in dem Augenblick, da sich die Frau auf den Polster
knien wollte, diesen ergriff und zu einer anderen lief. Die Frau kniete
so allein auf dem Tanzboden und musste sich unter allgemeinen
Gelächter, aber ohne irgendwelchem Missmut, zu ihrem Tische begeben.
Das gleiche konnte auch einem Mann geschehen und niemand zeigte sich
verdrossen, denn das gehörte alles eben dazu. Manches Pärchen hielt
sich fest umschlungen und küsste sich so fest, dass man glaubte, sie
seien zusammengewachsen; je ulkiger es war desto schöner war es. Einmal
sagte der Franz zu seiner Ritschi: „Los na doch schun aus, du
mochst na ju kaput!“ da sie sich mit einem Burschen küsste. Der
Polstertanz dauerte zumeist ein bis eineinhalb Stunden, aber glaubt ja
nicht, dass nach dem Ball zu Ende war!
24. Kapitel
Frühlingserwachen, fürwahr ein wohlklingendes Wort, welches
jedem einzelnen Menschen das Herz höher schlagen lässt! Alle Jahre
wieder kam der Frühling in unser Land und je höher die Sonne stieg
desto freudiger waren alle Menschen, deren Arbeitsfeld das freie Land
war wo sie gar oft schwersten Witterungsverhältnissen ausgesetzt und
mit dem zufrieden sein mussten, was ihnen die Natur zumaß. Noch sehr
oft stand der Monat März unter dem Einfluß des scheidenden Winters, die
rauen und kalten Winde aus Ost und Nord durchstreiften das ganze
Marchtal und verzögerten das Grünwerden unserer Fluren; nur der
Huflattich blühte ungehindert und bezeugte, dass der Frühlingseinzug
doch nicht mehr weit ist. Aber eine alte Redensart besagt, dass zu
Josef der Faulste heraus muß, bewahrheitete sich oft. Am Tage des
Heiligen Josef, am 19. März, der unter Anteilnahme der ganzen
Bevölkerung mit einem Gottesdienst in der Ortskapelle gefeiert wurde,
erging durch ein Gebet zu Gott die Bitte, er wolle allen auf dem Land
schaffenden Menschen Kraft und Gesundheit verleihen, damit sie die
schwere Arbeit übers Jahr erfüllen können. Bald auch wurde die kalte
Nordluft durch eine feuchtwarme Brise aus dem Süden abgelöst, die Sonne
durchbrach den Frühnebel und der Erdboden wurde warm. Mit einem Schlage
gehörten die Tage des Faschings der Vergangenheit an, jeder musste die
im Winter weich gewordenen Hände aus den Hosentaschen hervorholen und
das Werkzeug fest umfassen und nach kurzer Zeit wurde der im Winter
angesetzte Speck ein Opfer der Arbeit. Ob arm oder reich, ob jung oder
alt, für jeden erschien die kommende Jahreszeit als eine Verpflichtung
zum Wohle seiner Familie und seines Nächsten. Berge von Arbeit wuchsen
aus dem Boden und konnten nur durch härtesten Einsatz jedes einzelnen
abgetragen werden. Oft mussten Kinder, die kaum in der Lage waren sich
selbst das Brot abzuschneiden, hart anfassen um den von der Tagesarbeit
bedrängten Eltern zu helfen. Die Arbeitstage waren von der Menge und
der Vielfalt der anfallenden Arbeit abhängig, bald waren es lange Tage
vom Morgen bis zum Abendläuten, bald war es ein Tag von 4 Uhr früh bis
8 Uhr abends, im Sommer noch länger.
Schon früh am Morgen, ehe noch die Sonnenstrahlen den Boden berührten,
ging der Bauer mit seinen Dienstboten ans Werk. Die Wagen wurden mit
Saatgut und allerhand Ackergerät beladen, die Pferde wurden vorgespannt
und dann rasselten Wagen, Maschinen, Walzen etc. dem Ausgang des Dorfes
und den Feldern zu. Die in unserer Heimat unzähligen Lerchen begrüßten
sie mit ihrem Jubel in den Lüften und begleiteten sie bei der Arbeit
den ganzen Tag. Morgens, mittags und abends konnte man die Dorfbewohner
mit einem Ameisevolk außerhalb des Haufens vergleichen, denn im Dorf
traf man nur Kinder und alte Leute. Jedermann war darauf bedacht, das
Saatgut so schnell wie nur möglich in den Boden zu bringen, damit ein
etwa einfallender Frühlingsregen dieses Beginnen nicht etwa verschiebt
oder gar vereitelt.
Unser Dorf hatte nicht nur Landwirte, die in der Lage waren, Pferde vor
ihre Wagen und Ackergeräte zu spannen, es gab auch Dorfbewohner, die
sich selbst vor ihren Handwagen spannen und dessen Last mit größten
Mühen an den Ort der Bestimmung bringen mussten. Es waren dies die
Häusler und Inwohner, die sich mit dem Anbau von Gemüse aller Art
befassten. Hierzu gruben sie große Feld- Wiesenstücke mit dem
Grabscheid (Spaten) um. Ich habe heute noch Kreuzschmerzen wenn ich an
diese schwere Arbeit denke! Oft gelang es den Frauen (Peterselweibern)
von einem Bauern ein großes, meist 4 Metzen umfassendes Ackerstück zu
pachten (in den Oberen Lusen). Von sachkundigen Männern wurde es in 32
Achtel – also zu je 1/8 Metzen – geteilt und der Großteil dieser Frauen
konnte sich an der Verteilung beteiligen. Es bekam jedes Achtel seine
Nummer und dann wurde gelost. Hierbei ging es ganz lustig zu und
darauf, dass die Petersel (Petersilie) schön gerade und lang wachsen
möge wurden einige Runden Likör ausgeblitzt. Das Bestellen dieser
Feldstücke war nicht allein eine schwere, sondern auch eine recht
heikle Arbeit. So z. B. wollte kein Bauer richtig dran dieses Feld zu
ackern, denn es musste sehr tief geackert werden. Da muß ich den Bauer
Mauritz Melzer noch heute Dank und Anerkennung zollen, weil er die
Bitte der Frauen aus reiner Menschlichkeit nicht abzulehnen vermochte.
Beim Ackern waren alle beteiligten Frauen dabei, sie schritten hinter
dem Ackersmann einher und durchsuchten den Boden nach Wurzel und
Unkraut. Sodann wurde das Feld geeggt und mit einem Brett abgeschleppt.
Nachdem es glatt und eben wie ein Tisch war, gingen die Frauen ans
Werk. Zuerst wurde die Grenze ausgetreten, sodann ein großes Tuch
ausgebreitet und auf dieses eine ziemliche Menge feiner wie trockener
Erde aufgetragen und mit dem vorgekeimten Samen durchmengt. Hierauf
band sich jede Frau das Tuch um den Leib. Es war schwer und nur mit
Mühe konnte sie sich vom Erdboden erheben. Sie schaute sich nun in der
weiten Gegend um, einen Kirchturm, Kamin, etc. zu erblicken, der ein
Vorbild für den geraden und langen Wuchs der Petersilie sein könnte.
Konnte sie aber dergleichen nicht erblicken, steckte sie die Hacke
senkrecht in den Boden und betrachtete diese als eine Aushilfe für ihre
Vorstellung und Wünsche. Mit einer Hand voll Samengemisch und den
Worten „A Jejses Noma“ (in Jesu Namen) bekreuzte sie dreimal ihr Feld
und betet zu Gott, er möge ihre Frucht nach dem Vorbild das sie vor
sich gesehen und das sie sich ausgewählt hatte, gedeihen lassen. Jetzt
erst wurde der Samen ausgesät und mit einem eisernen Rechen eingerecht.
Ein Palmzweig aus geweihtem Holz war eine Zierde eines jeden Achtels,
eines jeden Anteils. Soviel Teile eine Frau ausgelost hatte, soviel Mal
wiederholte sich der Vorgang. Über den weiteren Verlauf dieser
Petersel-Angelegenheit in unserer Gemeinde wollen wir uns noch später
unterhalten.
25. Kapitel
Im heurigen Jahr erfreuten uns die Osterfeiertage etwas
früher als in den vorhergegangenen Jahren. Es sind immer die ersten im
jeweiligen Jahr und, von mir aus gesehen, auch die schönsten Feiertage.
Schon die vorausgehende Fastenzeit wirkte sich auf jeden einzelnen
Bewohner der Pfarrgemeinde aus und die Erinnerungen, welche ich jetzt
in euch wachrufen will, stammen aus dieser Zeit, die ich wiederholt in
meinen Kindheitsjahren erlebt habe. Die Fastenpredigten, die an jedem
Sonntag abgehalten wurden, waren ihr Kernstück: Pater Schnee aus Olmütz
fand in der Pfarrkirche zu Schnobolin ein überfülltes Gotteshaus
gläubiger Zuhörer und noch außerhalb der Kirche lauschten unzählige
Menschen den Ausführungen dieses ausgezeichneten Predigers. Verstand er
doch das Leiden Christi so auszulegen, dass kein Auge trocken blieb. Es
waren ja auch die Menschen von der Grablegungs- bis zur
Auferstehungsfeier ganz auf das Leiden und Sterben des Herrn
eingestellt, sie nahmen nur wenig Nahrung zu sich und verrichteten nur
die unumgänglich notwendigen Arbeiten. Die Schuljugend und die
schulentwachsene Jugend benützte diese Zeit zur Besichtigung der
„Heiligen Gräber“ in den Stadtkirchen. Sie haben von dem, das sie hier
besichtigen und bestaunen konnten, bestimmt unauslöschliche Eindrucke
bis zum heutigen Tage behalten. Ich weiß nicht wie viele Landleute in
der Exilheimat ein Heiliges Grab in einem solchen Ausmaß, in einer
solchen Erhabenheit und Schönheit wie zu Beispiel in der
Garnisonskirche Maria Schnee zu Olmütz je zu sehen bekommen werden: Das
gewaltige, hoch über das Hl. Grab hinausragende Eichenkreuz, das an
diesem weit herabhängende weiße Linnen demonstrierte jedem auf den
ersten Blick welch gewaltiger Abgrund sich zwischen Unrecht und
Gerechtigkeit auftun konnte und kann. Das Grab selbst wurde aus Waffen
des österreichischen Heeres der Befreiungskriege nach dem Jahre 1809
geschaffen und übertrug die Karfreitagsstimmung, die in unserem
altösterreichischen Vaterlande vor der Schlacht bei Aspern geherrscht
hatte, noch ein Jahrhundert später auf den andächtigen Beschauer. Hier
versahen die Soldaten des Hausregiments in „Paradeadjustierung“ die
Grabwache. Auch die anderen Kirchen der Stadt hatten ihre Heiligen
Gräber durch würdige Ausstattung und viel Geschmack zu einprägsamen
Mahnmalen ausgestattet, so z. Bspl. St. Mauritz (Grabwache durch das
Bürgerkorps). St. Wenzel (Grabwache durch bischöfliche Garden). St.
Michael und nicht zuletzt auch die Kirchen der Dominikaner, Kapuziner
und der Ursulinerinnen. Wer von uns diese Bilder und Erinnerungen der
Vergessenheit überantworten will, der ist auch fähig, seine Heimat zu
vergessen! Das ganze Dorf, Haus und Hof hatten inzwischen ein
festliches Gewand angelegt und die Menschen, die darin wohnten, hatten
eine innere und äußere Reinigung an sich vollzogen. Während die Mutter
und Hausfrau die notwendigen Vorbereitungen für das Ostermahl die
Osterbrote und die Osterfreuden der Kinder traf, begab sich jedermann,
der nicht unbedingt zu Hause bleiben musste, auf den Weg zur Kirche.
Bereits um 4 Uhr nachmittags warteten schon die Pfarrkinder aus
Gießhübel, Nedweis, Nimlau und Schnobolin außerhalb der Kirche auf den
Beginn der Auferstehungsfeier. Plötzlich begannen alle Glocken zu
läuten. Der Priester hatte das Lied „Der Heiland ist erstanden . . .“
angestimmt, das Volk hatte es mit den Worten: „befreit von Todesbanden
. . .“ fortgesetzt und sodann wurde das Allerheiligste vom Priester
unter dem Gesang und festlicher Musik um die Kirche getragen. Die Feier
wurde mit dem festlichen Gesang „Freue Dich Himmelskönigin“ und dem
„Großer Gott wir loben dich“ geschlossen. Die festlich gestimmte
Pfarrgemeinde teilte sich jetzt in ihre örtlichen Prozessionen, die in
der Reihenfolge Nedweis, Nimlau, Gießhübel, Schnobolin, ein Stück vom
Seelsorger begleitet, unter Vorantragung des Kreuzes, unter Gesang und
Gebet sich auf den Heimweg begaben. Der damalige Vorbeter Pawlak suchte
aus seinem Buch die schönsten Lieder aus und jeder sang die schönen und
leichten Melodien freudigen Gemüts mit. Eines solchen schönen Liedes
erinnere ich mich noch jetzt. Sein Refrain lautete: „O mein Jesu, mein
allerschönster Jesu, mein Seelenbräutigam“. Soweit meine
Erinnerungen an die Auferstehungsfeier.
26. Kapitel
Ich will heute mein Versprechen einlösen und mit euch einen
kleinen Ausflug auf die höchste Erhebung der Nimlauer Dorfflur, den
Goldberg (auch Johannisberg genannt), einst das schönste Fleckchen Erde
unserer engeren Heimat, unternehmen. In den Jahren 1845 bis 1850 hat
das damalige Militär auf dieser aussichtsreichen Höhe zur Verstärkung
des Festung Olmütz das Lagerfort XI erbaut. In keiner Zeit musste es
Verteidigungszwecken dienen und nach dem Gefechte bei Tobitschau im
Jahre 1866 wurde die ganze kostspielige Anlage bereits als veraltet
angesehen. Sie konnte von jetzt ab von jedermann betreten werden und
diente fortab der Bevölkerung aus Stadt und Land zur Veranstaltung von
Festlichkeiten – besonders der hier alljährlich stattfindenden
Sonnwendfeiern – und als Ausflugsort. Das Fort, das zuerst von der
Familie Endlinger und später von der Familie Riedl verwaltet wurde,
konnte auch besichtigt werden. Nicht alle Leser, vielmehr nur die
älteren Landsleute werden in der Lage sein, sich dieser Zeit zu
erinnern. Erst im 1. Weltkrieg wurde es dort weniger schön. Das Fort
wurde wieder für militärische Depotzwecke, zeitweise auch zur
Unterbringung von Kriegsgefangenen in Verwendung genommen, das Wäldchen
wurde abgeholzt, der Zutritt untersagt. Der einst so schöne und
vielbesuchte Ort wurde zu einem kahlen und unbeachteten Hügel.
Wenn wir jetzt einen kleinen Abstecher dorthin tun, so will ich mich
euch hierbei als Wegweiser anbieten, denn ich konnte als Schuljunge
noch einige Sonnwendfeuer und Sommerfeste auf dem Goldberg miterleben.
Ein Ausflug an einem Sonntagnachmittag war damals für jedermann eine
Erholung und auch die Nimlauer haben von ihr einen regen Gebrauch
gemacht. Der dorthin führende Pantschocha-Weg war ein tief
eingeschnittener Hohlweg, dessen beide Hänge reichlich mit Sträuchern
und Bäumen aller Art bewachsen waren. Der tief unten im Hohlweg
dahinschreitende Mensch empfand den kühlen Schatten und den Duft
tausender Heckenrosen als ein kostbares Geschenk Gottes. Unweit des
oberen Ausganges stand man schon in unmittelbarer Nähe des
Akazienwäldchens und es bot sich ein unvergesslicher Anblick. Zu diesem
schönen Anblick möchte ich noch folgendes sagen: Der Bauer Adolf
Dockal, bei dem ich die ersten Jahre des Krieges im Dienste stand, gab
oft seiner Freude Ausdruck, wenn wir mit dem Wagen auf dieser Höhe
ankamen. Er schwenkte den Hut und sang mit seiner wohlklingenden
Stimme: „Wer hat dich du schöner Wald aufgebaut so hoch da droben . .
.“ Dabei strich er seinen Schnurrbart nach beiden Seiten und lächelte
vor sich hin. Auch seine Frau Albertine, geb. Christ, aus Schnobolin,
war immer freudig bewegt, wenn wir in der Nähe des Goldberges mit
Feldarbeiten beschäftigt waren.
Wir nähern uns immer mehr der Kuppe. Bevor wir aber auf diese gelangen,
erhebt sich vor uns auf hohem Sockel in übernatürlicher Größe das
Standbild des heiligen Johannes von Nepomuk. Der im Lande besonders
verehrte Heilige, Sinnbild der Sanftmut und Verschwiegenheit wandte
sein Gesicht der tief unten liegenden Gemeinde Nimlau zu. Im Jahre 1807
ward er auf Kosten der Gemeinde aufgestellt. Wir lassen den Heiligen
linker Hand und gehen längs des Weges bis zur Vorderseite des Forts.
Von da aus führt ein Fahrweg nach Schnobolin. Die Einfahrt zum Fort war
ziemlich tief gelegen. Die Vorderansicht ergab durch die weit nach
beiden Seiten sich Erstreckenden Erdwälle einen wuchtigen Eindruck und
vor beiden befand sich ein etwa 50 Meter breiter und 200 Meter langer
Rasenplan. Was der Umgebung des Forts einen besonderen Reiz und
Schönheit verlieh, war der rings um das Fort sich hinziehende, etwa 60
Meter breite Wiesenplan, auf dessen Südseite sich das schattige und zur
Blütezeit bezaubernd duftende Akazienwäldchen befand, jenes Wäldchen,
das den Ruhe suchenden und nicht auch den nach Liebe dürstenden
Menschen viel Freude und Erholung vermittelte.
Nur noch wenige dieser Glücklichen weilen unter uns. Wer einmal die
Erhabenheit und Schönheit unserer Heimat von hier aus gesehen hat, der
kann sie nie und nimmer vergessen. Er wird ihr hier geschautes Bild den
Kindern und Kindeskindern weitergeben und es als Trost beim Sterben
empfinden: Ganz nahe vor und unter uns liegt die königliche Hauptstadt
Olmütz, die von unseren Ahnen erbauten und besiedelten Heimatdörfer,
alles in goldene Ährenfelder gebettet. Die majestätische und
stromgleiche March durchfließt von Nord nach Süd das weite Tal und
verschwindet in den Auen des Grügauer Waldes. Die Ostseite wird durch
die waldreichen Ausläufer der Sudeten, das Odergebirge und sein
Gebirgsvorland begrenzt. Der sichtbare „Weiße Stein“ weist in jene
Richtung, in der die Oderquelle zu suchen ist. Wallfahrtskirche und
Kloster Heiligenberg erscheinen uns als köstliches Juwel erhabener
Baukunst und göttlicher Allmacht. Den Blick nach Süden gerichtet
erblicken wir bei gutem Wetter die Karpathen mit der leuchtenden
Wallfahrtskirche auf dem Hosteinberg und weiter bis zur Landesgrenze
sich hinziehend die Waldhänge der „Weißen Karpathen“. Vom Norden her
winkte uns das mit Schnee bedeckte Altvater-Gebirge, das uns auch bei
sommerlicher Hitze stets mit einer erfrischenden Brise beglückte. Ein
Tal von 20 Kilometer Breite und 160 Kilometer Länge zu unseren Füßen,
von solcher Schönheit und Pracht, das war und ist unsere Heimat. Nicht
jedem Menschen dieser Erde war die Natur so gut gesinnt wie uns. Sie
schenkte uns jenen unmessbaren Teil ihres großartigen Schöpfungswerks,
der uns von nichtswürdigen Menschen geraubt wurden.
27. Kapitel
Darf ich es wagen, Euch in Euren Gedanken zu stören und mit
Euch auf dem Ausflugsort vom Vormonat, dem Gold- (oder auch
Johannisberg) zu verweilen, um noch weitere alte, aber beinahe schon
verblasste Erinnerungen aufzufrischen? Mir ist im Leben kaum einer
begegnet, der sich nicht gerne schöner Stunden oder Tage aus seinen
jungen Jahren erinnert. Bei unserem fortgeschrittenen Alter sind diese
Stunden und Tage bestimmt des Erinnerns wert!
Der Goldberg war für die deutsche Bevölkerung von Olmütz-Stadt und
Land, die sich schon damals sehr eingeengt fühlte, nicht allein ein ihr
zugefallenes Gottesgeschenk, sondern auch ein Mittelpunkt ohnegleichen,
denn alle auf dieser Höhe veranstalteten Festlichkeiten und
Kundgebungen waren ihre Veranstaltungen, von ihr in einem großen Rahmen
aufgezogenen und ausnahmslos von allen Schichten gefördert. Man kann
nicht leugnen, dass Zeit und Menschen sich gewandelt haben und dass
hier von allen Gewohnheiten und Bräuchen, die unsere Väter und Ahnen
gepflegt haben, kaum noch eine Spur zu erkennen ist. Laßt mich deshalb
weiterberichten!
Alle Körperschaften und Vereine, die damals sich um den „Bund der
Deutschen Nordmährens“ (Nordmährerbund) scharten, machten sich eine
Ehre daraus, für das Gelingen dieser Veranstaltungen Sorge zu tragen
und den entstehenden Aufwand zu bestreiten. An dem vornehmsten Festakt
der Sonnwendfeier (Johannisfeuer), welcher auf dem Osthang des
Goldberges alljährlich stattfand, beteiligten sich auch alle Landsleute
ohne Ausnahme. Die Beteiligung begann schon mit der Sammlung des für
das Feuer erforderlichen Brennmaterials und ich erinnere mich noch, wie
der damals noch ganz junge Lehrer Edmund Peschek die Bevölkerung
aufforderte, alles irgendwie brennbare Gerümpel zusammenzutragen, das
dann Richard Dockal d. Ä. mit dem Leiterwagen auf den Berg hinauf fuhr
und es dort sachverständig zu einem großen Haufen schlichtete. Unter
Anteilnahme einer unübersehbaren Menschenmenge wurde bei Einbruch der
Dunkelheit unter dem Jubel der Anwesenden der Holzstoß entzündet. Die
zum Himmel hochsteigenden Flammen waren im ganzen Heimatgebiet zu
sehen. Zur selben Stunde leuchteten zahllose Sonnwendfeuer aus dem
Norden und Osten, von dort her, wo deutsche Menschen wohnten und sie
mahnten wie unser Feuer zur Wachsamkeit. Nach den Ansprachen über den
Sinn und Zweck der Feier durchbrachen Tausende von Kehlen die Stille
der Nacht mit den Liedern „Flamme empor“, „Wenn alle untreu werden“ und
„Es braust ein Ruf wie Donnerhall . . .“ Viele andere deutsche Lieder
erklangen noch und mahnten die Deutschen zur Heimatliebe, zum deutschen
Denken und Handeln. (Kein Wunder, wenn die von den Siegern eingesetzten
Gewalthaber diese Feier nach ihrer Machtergreifung verboten!) Studenten
in ihren bunten Mützen und die Turner sprangen hernach über das
niedergehende Feuer und nach Mitternacht begab sich der Großteil der
Teilnehmer im Scheine von Lampions und Fackeln und unter Absingen
froher Heimatlieder herunter ins Tal, von da aus gesehen ein
unvergesslicher Anblick! Viele junge Menschen blieben noch um das Feuer
geschart und erwarteten hier den Aufgang des Tagesgestirns. Der Zauber
dieser Nacht hatte alle ergriffen und auch jene, die noch zur Schule
gingen, sangen wo sie standen und gingen „Im Tal rauscht Johannisfest,
ein Singen dir und Klingen . . .“
Auch das auf dieser Höhe alljährlich abgehaltene Sommerfest konnte man
als ein Heimatfest größten Ausmaßes bezeichnen. Nicht geringe
Vorbereitungen waren hierzu notwendig, um die bei einigermaßen
günstigem Wetter herbeiströmenden vielen Tausende von Menschen
aufzunehmen und bewirten zu können. Viele fuhren Bretter und Stangen
auf den Berg und schon 8 bis 10 Tage vorher waren Zimmerleute mit dem
Aufstellen der Bänke, Tische und Buden beschäftigt, wozu weit über 1000
Pflöcke eingeschlagen werden mussten. Das Olmützer Bräuhaus der
brauberechtigten Bürgerschaft war auch schon am Platz, um die hier so
Beschäftigten mit dem köstlichen Olmützer Bier zu laben: Schon früh
beim Morgengrauen und ehe noch die Sonnenstrahlen die Erde trafen,
hörte man die Beilhiebe und Hammerschläge der kräftigen, wie aus
Eichenholz geschnitzten Zimmerleute und ihrer zahlreichen Helfer. Am
Spätnachmittag aber suchte so mancher Mann Ruhe und legte sich neben
Schlegel und Stemmeisen in das weiche Gras des Akazienwäldchens; auch
die Frauen, die ihnen das Mittagessen zugetragen hatten, blieben hier
und nahmen an den Freuden der Vorfeier lebhaften Anteil. Jeden Tag
trieb die Neugier auch zahlreiche Menschen aus nah und fern auf den
Berg, um sich hier vom Fortschritt und Umfang der Vorbereitungen zu
überzeugen. Am Sonntag früh wurden die Speisen und Getränke, die Jux-
und Scherzartikel u. a. m. auf den Berg gebracht, schließlich rückten
auch die Gastwirte heran. Bald nach der Mittagsstunde kamen die ersten
Leute und unter den Klängen einer Blasmusik sowie eines
Schrammelquartetts wurde der Festplatz ein einziger Trubel, der erst am
Montagmorgen ein gänzliches Ende fand. Eine Fröhlichkeit ohnegleichen
herrschte unter den Deutschen des Olmützer Landes auf diesem
einzigartigen Fleckchen Heimaterde. Am Spätnachmittag war kein
Fleckchen Rasen mehr frei. Eine Militärmusik-Kapelle und zwei
Zivil-Blasmusiken füllten die Luft mit fröhlichen, altvertrauten
Klängen. Wirtsleute, Würstelbuden und Zuckerl-Standerln hatten alle
Hände voll zu tun. Viel Hopfen und Malz hat müssen verbraut und viele
Schweine hatten ihr Leben lassen müssen, um die hungrigen und durstigen
Menschen zu atzen. Für die Kinder gab es damals das Sodawasser und die
Kracherln, deren Korke noch bloß von einem Draht festgehalten waren und
deshalb mit größter Vorsicht geöffnet werden mussten. Das Glücksrad war
damals ein großer Anziehungspunkt, denn es konnten schöne Preise
gewonnen werden. Auf dem Rasenplatz vor dem Fort war das Kaschperle,
der Würstelbaum, das Sackhüpfen zu finden, Turnen und Spiel wurden hier
vorgeführt. Vom Raketenstand auf dem Torwall wurde sodann gegen Abend
das Feuerwerk abgebrannt und mit diesem das Sommerfest – das letzte
fand im Jahre 1913 statt – beschlossen. Der Mord am
Erzherzog-Thronfolger und der darauf folgende Krieg hatten dem Brauche
ein vorzeitiges Ende bereitet.
Könnt Ihr Euch, Ihr, meine gleichaltrigen Landsleute erinnern, wie
schön es damals war und welche Freude es für uns alle bedeutete, in
dieser Zeit leben zu dürfen? Ja, das war einmal und kommt nicht wieder!
28. Kapitel
Wollen wir einmal einen tieferen Einblick in die
Vergangenheit unserer Heimat tun, dann müssen wir eben dazu einige
freie Stunden aufbringen, um auch zu den kleinsten Einzelheiten, die
uns lieb und teuer sind, zu gelangen. Wie euch doch allen bekannt ist,
sind schon an die 800 Jahre vergangen, seit sich eine Anzahl deutscher
Bauern auf dem damals brach liegenden Gebiet von Nimlau sesshaft
gemacht haben; sie haben damals das Dorf Nimlau, das aus 42
Ansässigkeiten bestand, fachgerecht in der Richtung von Norden nach
Süden auf dem Fuß des leicht ansteigenden Lösrückens angelegt und das
hierzu erforderliche Material, den Lehm, an Ort und Stelle in
reichlicher Menge vorgefunden. Viele stillgelegte und noch bis in die
letzte Zeit benützte Lehmgruben, sowie da und dort noch erhaltenes
„Patzen“-Mauerwerk zeugten davon. Wollen wir uns jene Zeit
vergegenwärtigen, müssen wir die uns letztbekannten Besitzer der 42
Bauernstellen kennen.
Es waren:
Nr. 1 Steffe M.; Nr. 2 Doležel Fr.; Nr. 3 Atzler R.; Nr. 4 Tobias Fr.;
Nr. 5 Sauer R. (Schwarz Ad.); Nr. 6 Dockal A.; Nr. 7 Holey R.; Nr. 8
Zbitek J.;
Nr. 9 Holey R.; Nr. 10 Melzer M.; Nr. 11 Heilich Th. (Pächter Indrak J.;
Nr. 12 Schindler O.; Nr. 13 Holey Ed.; Nr. 14 Domkapitularischer
Meierhof;
Nr. 15 Zankel J. (später Matschak J.); Nr. 16 Melzer R.; Nr. 17 Schenk
R.;
Nr. 18 Strnisko R.; Nr. 19 Michna E.; Nr. 20 Strnisko K.; Nr. 21 Dockal
R.;
Nr. 22 Strnisko L.; Nr. 23 Schenk R.; Nr. 24 Robacik J.; Nr. 25 Langer
E.;
Nr. 26 Thomas Fr.; Nr. 27 König Ph.; Nr. 28 Strnisko J.; Nr. 29 Kluger
R.;
Nr. 30 Dockal F., Nr. 31 Thomas Cyrill; Nr. 37 Strnisko Fr.; Nr. 92
Schwarz F.;
Nr. 39 Fischer R.; Nr. 71 Melzer Ed.; Nr. 72 Kluger R.; Nr. 73 Sach L.;
Nr. 74 Meixner J.; Nr. 75 Frau Post (war früher eine Bauernstelle);
Nr. 76 Strnisko Ad.; Nr. 79 Pavlak Fr.
Bis gegen das Ende des 18. Jahrhunderts bestand unser Dorf aus diesen
42 Ansässigkeiten. Ihre Bauern hatten viel zu leiden, so 1613 durch die
Pest, 1672 durch den verheerenden Dorfbrand und 1707 durch eine
Hagelkatastrophe. Alle diese Schicksale konnten nicht verhindern, dass
sich das Dorf immer wieder aus dem Elend erhob. Das Dorf und seine
eingeborenen Menschen waren immer da und waren es auch bis zur
Vertreibung.
Nach alle diesen Schicksalsschlägen begann für die Überlebenden der
zweite Abschnitt der Dorfgeschichte, die bis zum Jahre 1878 während der
Zeit der Vermehrung der Häuser von 42 auf 88 Hausnummern. Die bei den
Bauern im Deputat beschäftigten Ortsbewohner machten sich auch
hausgesessen. Weil die Bauern keinen Grund abgeben wollten oder
konnten, wurden die neu erbauten Häuser (Häuseln) recht klein und enge
aneinander gebaut, wenn auch die Gemeinde alles in ihren Kräften
stehende zum Gelingen beitrug. Die weniger Vermögenden bauten mit
Patzen (luftgetrocknete Lehmziegeln), die Kapitalkräftigeren mit
gebrannten Ziegeln. Abgesehen davon, dass die Gemeinde schon zwischen
1700 und 1720 das Hirtenhaus Nr. 77 erbaut hatte, im Jahre 1780 die
erste Schule (Nr. 32), um die gleiche Zeit das Gemeinde-Gast- und
Einkehrhaus (Nr. 67), im Jahre 1836 die Ortskapelle, annähernd im
gleiche Jahr das Armenhaus (Nr.70) und im Jahre 1861 die zweite Schule
(Nr. 41) errichtete, ließ sie noch ihre hervorragendsten Schöpfungen,
die neueste Schule und das Gemeindehaus, in den Jahren 1877/78 erbauen.
Im Zuge der fortschreitenden Entwicklung wurden verkauft: das
Hirtenhaus Nr. 77 dem Vater von Adolf Lontsch, das Gasthaus Nr. 67 dem
Vater von Laurenz Matschak. Auch die beiden ersten Schulgebäude wurden
verkauft. Nr. 41 gehörte Adolf Hudecek, Nr. 32 der Frau A. Kimmel
(später B. Usarsky).
Die uns letztbekannten Hausbesitzer der in diesem Zeitabschnitt
entstandenen Anwesen sind folgende: Nr. 32 Usarsky B.; Nr. 33 Vyvazil
M.; Nr. 34 Thomas Fr.; Nr. 35 Hirschl O.; Nr. 36 Krbecek K.; Nr. 38
Psota J.; Nr. 40 Zankel Fr.; Nr. 41 Hudecek Ad.; Nr. 42 Neue
Volksschule; Nr. 43 Grohmann O.; Nr. 44 Stratil A.; Nr.45 König M.;
Nr.46 Zencak J.; Nr. 47 Nemluvil Ludwig; Nr. 48 Bernhard A.; Nr. 49
Hudecek Fr.; Nr. 50 Citovsky Ad.; Nr. 51 Wolf R.; Nr. 52 Ripper J.; Nr.
53 Böhm Fr.; Nr. 54 Hanke Chr.; Nr. 55 Glauder W.; Nr. 56 Klement R.;
Nr. 58 Endl J.; Nr. 59 Atzler R.; Nr. 60 Rišavý A.; Nr. 61 Sach Fr.;
Nr. 62 Kluger J.; Nr. 63 Kluger R. (alte Schmiede; Nr. 64 Johannes Ad.;
Nr. 67 Witonsky Ed.; Nr. 66 Melzer Ed.; Nr. 67 Matschak L.; Nr. 68 Sach
Andr.; Nr. 69 Melzer Fr.; Nr. 70 Armenhaus, Nr. 80 Pavlak Al.; Nr. 81
Blanarsch R.; Nr. 82 Navratil Al.; Nr. 83 Pospischil M.; Nr. 84 Rudolf
And.; Nr. 85 Zwacek Fl.; Nr. 86 Atzler F.; Nr. 87 Bahnwärterhaus
(Koschuschein); Nr. 88 Bahnwärterhaus (Nimlau).
Zu Beginn des 20. Jahrhunderts begann eine neue Bautätigkeit. Neubauten
und zwar Häuslerstellen mit einer kleinen Landzulage mehrten sich und
Anfang der zweiten Hälfte diese Jahrhunderts hat ein Großteil der
Bauern ihre Häuser umgebaut, die Schindeldächer durch Naturschiefer
ersetzt und dem ganzen Dorfe ein neuzeitliches , angenehmes Gepräge
gegeben. Gegen das Ende der letzten Friedensjahre wurden auch noch
etliche Häuser geteilt, einige neue hinzugebaut, da die Einwohnerzahl
ständig zunahm. Es entstanden noch folgende Häuser: Nr. 89 Wymazal Th.;
Nr. 90 Sauer Blasius; Nr. 91 Hlawatsch F.; Nr. 92 Schwarz F.; Nr. 93
Gemeindehaus; Nr. 94 Stiastny Ottilie; Nr. 95 Krbecek L.; Nr. 96
Bahn-Wartehalle; Nr. 97 Nawratil J. und A.; Nr. 98 Sklenar J.; Nr. 99
Haas J.; Nr. 100 Hanke Ad.; Nr. 101 Kohn J.
Will man sich über die Anbaumethoden in den vergangenen Zeiten ein Bild
machen, so muß man sagen: Bis zum Jahre 1891 – der Auflassung des
Schießplatzes – wurde wegen der stark entwickelten Viehzucht das ganze
untere Ortsried östlich vom Dorf für die Gemeinde Nimlau und die
angrenzenden Gemeinden als Hutweide gehalten. Noch in der Mitte des 18.
Jahrhunderts war die Dreifelderwirtschaft im Schwange. Das Ackerland
wurde in 1 Drittel Brache, 1 Drittel Sommersaat und ein Drittel
Wintersaat eingeteilt. Außer den geringen Mengen von Hackfrucht wurde
Getreide, Hirse und Hanf gebaut. Mit dem stärkeren Anbau der Kartoffel,
später der Zuckerrübe und zuletzt der Frühkartoffel reifte allmählich
eine neue Zeit, neue Wirtschaftsmethoden und neue Lebensbedingungen
heran.
Schließlich wurde auch die ehemalige Hutweide im Jahre 1892 an 28
Bauern, 14 Gärtler, 39 Häusler und die Gemeinde „in corpore“ verteilt.
Der letzte Zeitabschnitt hob an. Bisher ungesessene und kinderreiche
Familien konnten nun auch ein Stück Land besitzen und aus ihm das Beste
herausholen. Die Heimat wurde wertvoller und so recht das kostbarste
Gut eines jeden Ortsbewohners. Das Verbrechen der Vertreibung machte
aber aus den Nimlauern heimatlose Menschen. Drüber, wie unser
Kinderland zugrunde gegangen ist, wollen wir uns später einmal
unterhalten.
29. Kapitel
Ein altes Sprichwort sagt, dass alle Wege nach Rom führen,
aber der Weg den ich heute mit euch gehen will, ist nicht einer von
denen, es ist der gleiche Weg, den wir alle gegangen sind, nämlich der
Weg zur Schule. Er war für jeden verschieden weit, es war ein Kommen
und ein Gehen. Mein Weg aus der Pantschocha betrug in den 8 Jahren rund
5000 Km, und die Zeit, die ich dort auf den harten Bänken verbringen
musste, betrug ungefähr 10 000 Stunden. Es ist kaum zu glauben, aber es
kann sich jeder selbst diese Zeit in die Erinnerung zurückrufen. Die
Nimlauer Schule konnte man als die Krone des Dorfes bezeichnen und den
Lehrkräften kann man noch heute die vollste Anerkennung aussprechen.
Sie waren ja gar nicht von der Gemeinde wegzudenken. Sie erfreuten sich
großer Beliebtheit wie sie sich ja auch um sie Verdienste erworben
hatten. Während meiner Schulzeit in den Jahren 1906 bis 1914 waren an
der Nimlauer Volksschule tätig: Anna Anders, Wilhelm Giebel, Leopold
Kwietschela, Edmund Peschek und Oberlehrer Alois Felkel. Bei meinem
Schulantritt im Jahre 1906 gab es noch keine „Tüten“ (welch
schreckliches Wort!) mit Bonbons zum ersten Schultag, aber dafür war
unsere Lehrerin Anders mehr als viele Sackeln mit Zuckerln wert, sie
war eine Kinder und Ordnung liebende Frau. Aus vollstem Herzen bemühte
sie sich, ihren Schützlingen alle Tugenden sowie das Lesen und das
Schreiben anzuerziehen bzw. anzulernen. Und das letztere kostete damals
viel viel Mühe, denn das Schönschreiben wurde ganz groß geschrieben.
Die tadellose Form der Schrift, Haar- und Schattenstriche waren das
Wesentlichste. So lieb und gut sie war, so streng konnte sie auch sein
und das war für die spätere Schulzeit von größter Bedeutung. Wie eine
gute Henne war sie um ihre Kücken besorgt und gab ihnen nicht zuletzt
die für das weitere Fortkommen in der nächsten Klasse erforderlichen
Elementarkenntnisse auf gründlichste Art. Sie hat später den
Olmütz-Powler Oberlehrer Adolf Pika (welcher in Olmütz-Neustift „Bei
der Kapelle“ ein Einfamilienhaus besaß) geheiratet und damit unserer
Schule und Gemeinde verlassen, erlag aber bald darauf einem unheilbaren
Leiden. Unter großer Teilnahme aller Nimlauer wurde sie auf dem
Neustifter Friedhof zur ewigen Ruhe gebettet. Die selbst schon zu
Greisen gewordenen Schüler können sie heute noch nicht vergessen.
Der zweiten Klasse stand damals der noch sehr junge Lehrer Peschek vor.
Er war ein Lehrer, den man wohl kaum mit einem anderen Kollegen unseres
Gebietes vergleichen konnte. Sein Bestreben war, uns immer und immer
wieder lernen zu lassen, damit wir nicht allein den Lehrplan für die
Volksschule und die dazu gehörigen Stoffsammlungen, sondern ein noch
darüber hinausragendes Wissen in uns aufnahmen. Ich bin 4 Jahre zu ihm
in den Unterricht gegangen und kann mit Fug und Recht sagen, dass er
ein guter, tüchtiger und gerechter Lehrer war. Unbekannt weswegen er
eines Tages nach Pohorsch versetzt und während dieser Zeit von den
Lehrern Giebel und Kwitschela vertreten. Beide hatten eine etwas
ruhigere Natur und wurden deshalb auch von den größten Spitzbuben
vergöttert. Ich habe für beide viel Sympathie gehabt und mich in
späteren Jahren gerne ihrer erinnert. Oberlehrer Felkel, der
Gemeindevorsteher Andreas Strnisko und der Ortsschulrat schritten
jedoch beim Bezirksschulrat in Olmütz wegen Rückversetzung des Lehrers
Peschek ein. Sie hatten Erfolg und die ganze Bevölkerung war darob von
großer Freude erfüllt; Lehrer Peschek wurde sogar an der Nimlauer
Volksschule definitiv angestellt. Über den weiteren Verlauf unserer
Schulzeit unterhalten wir uns wieder in der übernächsten Nummer.
30. Kapitel
Die Natur reicht uns die Hand und begleitet uns auf dem Weg,
den sie für uns gekennzeichnet hat. Wald und Feld sind mit den
schönsten Farben, die der Herbst aufzuweisen hat, bekleidet, und ein
tiefes Schweigen rings umher ist unverkennbar. Durch dieses Geschehen
wird jedes menschliche Herz dazu bewegt, die vor uns stehenden Feste
Allerheiligen und Allerseelen zu würdigen, wie es unsere toten
Angehörigen, die in aller Welt zur ewigen Ruhe gebettet wurden,
verdienen. Vor dem Fest Allerheiligen erwachen in mir jedes Jahr
Erinnerungen und ich sehe die Bilder eines kleinen Ausschnittes meines
Lebens vor mir, die ich euch in ganz kurzen Zügen berichten. Im 2.
Weltkrieg, am 16. Oktober 1944, gleich am ersten Tag meines Einsatzes
gegen die Partisanen, in der Slowakei unweit der Stadt St. Nikolaus,
wurden wir wegen starken Nebels am Kampfe gehindert. Ein Spähtrupp aus
drei freiwilligen Kameraden, dem Hauptfeldwebel Vogel aus München mit
zwei Mann, machte sich auf den Weg zur Erkundung des Geländes. Kaum
hundert Meter entfernt wurden sie von einem Spähtrupp des Gegners
überfallen, der Hauptfeldwebel wurde schwer verletzt und die zwei Mann
gefangen. Ein daher fahrender Zivilist überbrachte uns die Nachricht,
dass auf der Straße ein verwundeter Soldat liege. Er wurde von zwei
Mann auf einem zweirädrigen Karren abgeholt. Ein furchtbares Leid
bewegte jeden einzelnen Mann unserer Abteilung beim Anblick unseres
Hauptfeldwebels. In seinem Antlitz waren seine furchtbaren Schmerzen
und der nahe Tod unverkennbar. Der Verlust unseres so hoch geschätzten
Hauptfeldwebels Vogel, der wahren Mutter der Kompanie, ging jedem
Einzelnen sehr nahe zumal er jederzeit in der Lage war, durch sein
gewinnendes Lächeln und seinem bayerischen Humor die Kompanie bei
bester Laune zu erhalte. Er war für uns ein kaum zu ersetzender
Vorgesetzter, ein solch prächtiger Mensch, wie einem solche im Leben
selten begegnen. Nach Auflösung des Nebels folgte ein drückend heißer
Tag: Die Last, die ich zu tragen hatte und das Leid, das mein Herz
bewegte, waren sehr schwer, Schweiß und Tränen vereinten sich,
erfülltem nein Gesicht und benetzten den harten Weg, den wir gehen
mussten. Das immerwährend vor meinen Augen erscheinende Bild des eben
dahinscheidenden Kameraden ließ mich die nächsten Tage kaum zur Ruhe
kommen.
Am 21. Oktober wurden wir vor dem Überschreiten der Niederen Tatra
durch ein Bataillon junger Soldaten verstärkt. Uns, der MG-Abteilung,
wurde ein junger hochgewachsener und kampferprobter Unteroffizier
zugeteilt. Auf seiner Brust waren die Zeugnisse seines Soldatentums
ersichtlich und bald hatte er auch die Treue und Anhänglichkeit seiner
Soldaten gewonnen. Nach kaum 24 Stunden Kampf in diesem waldreichen
Gebiet wurde dieser wie aus Ebenholz geschnitzte Unteroffizier das
Opfer eines hinter einem Baume versteckten Partisanen. Ein einziger
Schuß aus dem Hinterhalt und er lag tot vor unseren Füßen. Kaum zwei
Sekunden später wurde dieser Mörder, so kann man doch wohl sagen, durch
einen ebenso wohlgezielten Schuß eines ehrlich kämpfenden Soldaten in
unseren Reihen dahingestreckt. Es blieb keine Zeit ein Grab zu
schaufeln, nur das Laub und Moos wurde beiseite geschafft und der noch
warme Körper unseres Kameraden auf die kühle Erde gebettet, mit
Tannengrün zugedeckt. Durch ein aus einem Ast hergestelltes Kreuz und
den Stahlhelm wurde seine Ruhestätte gekennzeichnet. Mir selbst fehlte
die Kraft hierbei mit Hand anzulegen, vom Leid gequält brachte ich
keinen Laut über die Lippen. Nach acht Tagen harten Kampfes war unser
Auftrag erfüllt und wir kehrten zum Ausgangspunkt St. Nikolaus zurück.
Am darauf folgenden Tag, dem Fest Allerheiligen, gingen wir zum Grabe
des inzwischen verstorbenen Hauptfeldwebels Vogel auf dem Friedhof von
St. Nikolaus. Auch hier war es mir nicht möglich, die Tränen zu
unterdrücken, sie sollen für immer sein Grab erweichen! Ich werde dem
Hauptfeldwebel und dem Unteroffizier ein immerwährendes Andenken
bewahren.
Meine lieben Angehörigen der gefallenen Väter, Söhne und Brüder,
betrachtet diese Gräber als die Gräber der Euren, benetzt sie mit euren
Tränen, denn die Erde, welche sie bedeckt, ist die gleiche, die
ungezählten Opfer dieses Krieges bedeckt!
Auch wollen wir, auf dass sich unsere Gedanken vereinen, gemeinsam im
Geiste den Friedhof zu Schnobolin in der alten Heimat besuchen und
allen Lieben, die wir dort zurücklassen mussten, unser Gebet widmen.
31. Kapitel
Wir wollen den von mir getretenen Weg zur Nimlauer
Volksschule wieder fortsetzen: Als Lehrer Peschek von Pohorsch wieder
nach Nimlau zurückversetzt wurde, war ich noch Schüler der 2. Klasse.
An seine Strenge hatte sich während seiner Abkommandierung nicht
geändert. Er war daher zu jeder Zeit eine Stütze des schon recht alten
Oberlehrers Alois Felkel, welcher in der 3. Klasse unterrichtete und
damit auch die schwerste Aufgabe zu erfüllen hatte. Er stand sehr oft
vielen, schon in den Flegeljahren stehenden, Schülern machtlos
gegenüber und so fiel gar oft Lehrer Peschek die Augabe zu, die sonst
seiner Reichweite entzogenen Flegel noch vor deren Austritt aus der
Schule exemplarisch zu bestrafen und ihnen auch, wenn nötig, eine
ausgiebige Tracht Prügel zu verabreichen. Meine Lieben, habet kein
Mitleid mit den also so Bestraften, denn alle damals erfolgten
Strafmaßnahmen waren von höchster Notwendigkeit! Diese Prozeduren waren
länger andauernde Operationen an einigen im letzten Schuljahr stehenden
Schülern, bei denen der Unwille und die Ungezogenheit stark überhand
genommen hatten. Auf einen harten Klotz gehörte eben ein harter Keil!
Ich selbst hatte zu meiner Freude das Vergnügen beinahe vier Jahre,
erst in der 2. Klasse und später in der 3. Klasse bei Lehrer Peschek
den Unterricht zu genießen. Als Lehrer und später als Oberlehrer wurden
ihm in seiner fast vierzigjährigen Lehrtätigkeit, das war von 1906 bis
1945, für seinen gestrengen aber gerechten und guten Unterricht
namentlich von den kinderreichen Familien Dank und Anerkennung zum
Ausdruck gebracht. Alle, mitunter harten, Erziehungsmaßnahmen wurden
vergessen und alles, was seine zahlreichen Schüler von ihm auf den
Lebensweg mitbekommen haben, wurde für sie im weiteren Leben von
unschätzbarer Bedeutung. Es ging ja auch die Schulzeit in der 2. Klasse
schon für uns mit größten Erfolgen zu Ende. Ich und alle Mitschüler-
und Mitschülerinnen stiegen mit einem umfangreichen Wissen und Können
in die 3. Klasse auf. Mit bewegtem Herzen begrüßte Oberlehrer Felkel
nach den Sommerferien seine neuen Schüler in der 3. Klasse, denn von
Jahr zu Jahr wurde so seine Aufgabe leichter. Er war auch von sehr
weicher Natur und zog es vor, sich den Genuß einer ruhigeren und
angenehmeren Unterrichtsstunde zu verschaffen, so dass er sich oft von
uns überreden ließ, den Stundenplan zu ändern und eine Singstunde mehr
anzusetzen. Wir Schüler konnten uns nun in seiner so erbetenen
Singstunde an unseren so schönen heimischen Volksliedern – über die
Muttersprache, Heimatliebe, Freundschaft u. a. m. – erfreuen. Auch
Oberlehrer Felkel war über die uns unvergesslichen Melodien und Worte
zutiefst gerührt und das Weinen lag ihm dabei näher als das Lachen.
Dieselben Lieder wurden immer wieder auf unserem Lebensweg bei
freudigen wie feierlichen Anlässen gesungen und sind besonders heute
für uns ein kostbares Gut und Vermächtnis, weil wir sie hierzulande
nicht mehr zu hören bekommen. Das Lied vom Prinzen Eugen war geradezu
aus seinem und unserem tiefsten Inneren. Er, der als Feldwebel unter
dem Doppeladler gedient hatte, sagte dabei immer etwa wie: „Das war ein
Held. Er war es, der die Türken bei Peterwardein aufs Haupt schlug und
das Abendland vor den türkischen Massakers bewahrte.“
Ich und einige Schüler wurden über Ansuchen der Eltern im letzten
halben Jahr vom Schulbesuch befreit. Ein für mich unvergesslicher
Augenblick war es, als ich und die Christine Tschech (Frau Kohn) zu
gleicher Zeit das Entlassungszeugnis abholten. Wir wurden vom
Oberlehrer Felkel selbst mit den besten Wünschen für unseren weiteren
Lebensweg bis an den Ausgang des Schulvorgartens begleitet. Hiermit ist
der lange, aber kurz geschilderte Schulweg beendet. Ich will allen
meinen, auch jüngeren, Mitschülerinnen und Mitschülern auf diese Weise
herzliche Grüße übermitteln. Ich und sie alle sind diesen gleichen Weg
gegangen.
32. Kapitel
Kapitel Nach dem geschilderten Weg zur Schule in unserer
alten Heimat habe ich auch Anlaß, auf die darauf folgenden Jahre einen
Rückblick zu werfen. Nicht nur für mich, auch für alle Einwohner von
Nimlau, die früher oder später die gemeindliche Volksschule besuchten,
werden immer wieder Bilder in Erscheinung treten, die jeden veranlassen
oder ermahnen, unseren Lehrkräften, die es mit uns bestimm gut gemeint
haben und uns viel Wissen für das weitere Leben mitgaben, zu danken. Es
war seinerzeit kaum einem von uns gegönnt, dies in gebührender Weise zu
tun. Vielleicht wäre es auf diesem Wege möglich, dass ich in eurem
Namen allen Lehrkräften, die in der Schule zu Nimlau tätig waren, Dank
und Anerkennung ausspreche. Nicht vergessen darf ich hier auch die
„Kindertante“, Fräulein Teltschik, die als Leiterin des Kindergartens
den kinderreichen Müttern große Sorge abgenommen hat. Auch ihr müssen
wir unseren herzlichen Dank zum Ausdruck bringen. Hierbei muß ich noch
darauf hinweisen, dass unsere Schule mit sehr guten Lehrkräften
versorgt wurde. Sie waren alle ein untrennbares Glied der Heimat- und
Dorfgemeinschaft, die nicht allein ihre Kraft der Schule zur Verfügung
stellten, sondern auch der Ortsbevölkerung in allen erdenklichen
Angelegenheiten halfen. Ein Dorf wie Nimlau, das sozusagen an der
Grenze des deutschen Sprachgebietes gelegen und durch seinen
landwirtschaftlichen Charakter mit Arbeit überladen war, bedurfte die
Hilfe der Lehrerschaft besonders dann, wenn es galt, die gewaltsamen
Übergriffe der tschechoslowakischen Behörden abzuwehren oder auf ein
Mindestmaß zu reduzieren. Wir stehen wieder vor dem schönsten Fest des
Jahres, dem Fest der Liebe, dem Weihnachtsfest. Gerade in dieser zeit
führen mich immer wieder die Gedanken in die Heimat, und es drängt
mich, dieses Fest euch mit den Sitten und Gebräuchen der Heimat zu
beschreiben. Es herrschte auch damals noch Liebe und Freude in unserem
Dorfe. Ich muß es mit Bedauern aussprechen, dass ich das Weihnachtsfest
hierzulande in unserer überlieferten, altgewohnten Innigkeit nicht mehr
zu sehen bekommen habe. Freilich muß ich auch zugeben, dass ein
erheblicher Teil der Festlichkeit im Dorfe und so auch die
Festveranstaltungen um das Weihnachtsfest von den Lehrkräften gefördert
wurden und auch unter ihrer Beteiligung stattgefunden haben. Immer war
es der Oberlehrer oder einer der Lehrer, der an die Bevölkerung
herantrat, ihre Herzen und Hände öffnete, um der Jugend ein schönes wie
würdiges Fest zu bereiten. Schließlich zeigte auch die
Gemeindevertretung ihre offene Hand und so konnte jedes Jahr durch die
Gebefreudigkeit aller Einwohner eine Weihnachtsbescherung größeren
Ausmaßes durchgeführt werden. Es konnten daher alle Schulkinder bedacht
und sehr viele hilfsbedürftige Kinder mit warmen
Winterbekleidungsstücken versorgt werden. Feste und Veranstaltungen
solcher Art sind für mich und bestimmt für viele der Eltern heute fremd
und unbekannt. Vor allem fehlt heute die vorbehaltlose Nächstenliebe,
so dass das Weihnachtsfest, das wir kennen und meinen, für uns den
Verlust der Heimat als weiterer schwerer Verlust zu buchen ist. In der
alten Heimat waren Lehrer und Schüler jederzeit alle Vorsorge zu tun
bereit, um ein volles Gelingen des Festes zu sichern; sie haben die im
Festsaale versammelten Einwohner mit Spielen, Szenen, besinnlichen wie
fröhlichen Vorträgen und Weihnachtsliedern erfreut. Nicht nur ich, auch
alle älteren Nimlauer, werden sich dieser Feste mit Freude, aber auch
ob des so schmerzlichen Verlustes dieser Freude mit Wehmut erinnern.
33. Kapitel
Die Glückwünsche, die sich die Menschen alljährlich zum
Jahreswechsel entbieten, sind für viele unserer Freunde nur eine leere
Hoffnung geblieben. Eine Anzahl Bürger unseres lieben Nimlau sind
Gesundheit und ein langes Leben im vergangenen Jahr eben doch nicht
beschieden gewesen. Sie haben für immer von uns Abschied genommen und
ich bitte euch alle, sie in gutem Andenken zu behalten. So verliert die
schon ziemlich zusammengeschmolzene Dorfgemeinschaft ein Mitglied nach
dem anderen. Darum richte ich an Euch alle die Bitte, jede Gelegenheit
zu nützen, mit den anderen die Fühlung aufzunehmen und sie nicht wieder
abreißen zu lassen. Der Mensch, der die angestammte Heimat vergisst,
vergisst auch die Menschen, die einst mit ihm dort wohnten. Einem
Großteil der älteren Bürger, die mit uns Haus und Hof verlassen
mussten, war es aus Altersgründen, oder weil sie gesundheitlich nicht
mehr so recht auf der Höhe sind, versagt, an dem letzten Treffen der
Olmützer teilzunehmen.
Ich werde, soweit es Zeit und Gesundheit erlauben, versuchen, auch im
kommenden Jahr in den Spalten der „Olmützer Blätter“ mit euch über
unser Dorf und seine Menschen zu plaudern. Vieles liegt freilich schon
weit zurück und Namen und Gesichter verblassen in der Erinnerung. Wir,
die wir damals Kinder waren, sind nun schon Großeltern geworden. Welche
Freude herrschte in unserer Jugendzeit, wenn wir morgens erwachten und
das ganze Land war in ein Winterkleid gehüllt. Unsere Eltern weckten
uns schon früh mit den Worten: „Freut euch Kinder, es fällt Schnee!“
Auch in der Schule sangen wir Lieder auf den Winter und seine Freuden.
Wie wurden die Kinder beneidet die einen Rodelschlitten hatten. Oft
erbarmte sich der Vater oder der ältere Bruder und nagelte einen Rodler
aus Brettern zusammen. Dann begann lebhaftes Treiben auf Königns Bergl.
An einem solchen Wintertag, da ruhte die Arbeit im Dorfe und alt und
jung war versammelt. Die Kinder, die keinen Schlitten hatten, mussten
sich bescheiden auf der „Tschunder“ genügen lassen. Freilich ging das
über das Schuhwerk und so sahen es Vater und Mutter gar nicht gern, wen
man zuviel tschunderte. Man versprach dafür, im Sommer schon sehr bald
barfuß zu laufen und so die Schuhe wieder einzusparen. Die Landsleute
Sbitek, vor deren Haus der größte Trubel sich abspielte, waren die
Glücklichsten in der Runde. Natürlich durfte der überlebensgroße
Schneemann im Dorfe nicht fehlen. Der Stolz der Bauern im Dorfe war der
große buntbemalte Schlitten mit hochgebogenen Kufen. Schon die
Vorfahren hatten dieses winterliche Gefährt sorgsam gepflegt und den
Sommer über gut aufbewahrt. Wenn die Schneedecke es zuließ, rüstete man
zu einer Schlittenpartie. Die Pferde und das Geschirr mussten funkeln,
dass es nur seine Art hatte. Und mit Schellengeläut ging es dann in die
winterliche Landschaft dahin. Lustig wieherten die Pferde, als wollten
auch sie ihre Freude an dem schönen Tag zum Ausdruck bringen. Man hatte
vorher noch das reichhaltige übliche Mittagessen eingenommen.
Rauchfleisch, Sauerkraut und Griefenknödel oder knusprig gebratene
Leber- und Graupenwürste mit eingebrannter Erdäplkasch und war so auch
in leiblicher Hinsicht gut vorbereitet. Freilich durfte nur ein
kräftiger Mann die Zügel führen um zu verhindern, dass die ausgeruhten
Pferde zu übermütig ins Zeug gingen. So fuhren die jungen Burschen und
Mädeln zum Dorf hinaus in die benachbarten Orte, über die Neustift und
Powel, durch Schnobolin nach Nebotein. Allesch mit Rum sorgten dort
dafür, dass man sich innerlich wieder aufwärmen konnte und um den
Promille-Gehalt brauchte man sich bei den vorgespannten zwei PS damals
keine Sorgen zu machen. Über Nedweis und Gießhübel gings zurück nach
Nimlau. Auf dem Stehplatz hinten auf dem Schlitten stand ein Mann, der
seine vier Meter lange Peitsche über die gallopierenden Pferde und über
der jauchzenden Jugend schwang. Diese lange Peitsche schwingen konnte
wie keiner der Gastwirt Richard Sauer, Haus Nr. 5, der alte
Sauer-Vetter, er war wohl der letzte Nimlauer, der diese Kunst
brauchgerecht beherrschte.
Die alte Bäuerin Pauline Dockal, Haus Nr. 6, die Großmutter der
Landsmännin Dockal (Frau Meixner) pflegte oft zu erzählen, wie ihr Sohn
Richard Dockal, Haus Nr. 21, bei einer Schlittenpartie, bei der er
selbst die Zügel führte und sein Schwiegervater, der Sauer-Vetter, die
Peitsche knallte, bei starken Schneeverwehungen auf der Landstraße
gegen die March hin den vollgeladenen Schlitten in den Straßengraben
umwarf, weil die Pferde scheuten. Erst ganz in der Nähe der March
konnte er sie beruhigen. Es war zum Glück nichts Ernstliches passiert.
Man war mit dem bloßen Schrecken davongekommen. Ja, so war es im Winter
bei uns daheim.
34. Kapitel
Wollen wir diesmal von der fröhlichen Faschingszeit
miteinander reden. Ihr habt es ja alle noch, wenigstens die älteren
unter uns, selber miterlebt, wie es daheim war. Die schöne Erinnerung
ist überhaupt etwas Wundervolles, denn sie ist es, die oft und oft ein
heiteres oder auch verträumtes Lächeln hervorrufen kann, je nachdem.
Wir waren auch eine gute, ja geradezu vorbildliche Dorfgemeinschaft.
Und wenn die Bürger der Stadt Olmütz ihre Faschingsveranstaltungen
aufzogen, so standen wir Nimlauer auch nicht nach, wenigstens nicht in
der Hinsicht, was die Stimmung betrifft, wenn wir uns auch schon im
Aufwand und im Umfang nicht messen konnten. Freilich lang ist es schon
her, seit wir das letzte Mal unbeschwert und voller Fröhlichkeit daheim
Fasching feiern konnten in Ausgelassenheit vom Dreikönigstag bis zum
Aschermittwoch. Alljährlich lud die Freiwillige Feuerwehr unserer
Gemeinde die Bevölkerung zu ihrem Ball zur letzten Fasching ein. Ganz
besonders mit Spannung erwartet wurde dieses Ereignis auch immer von
den Burschen und Mädeln des Dorfes, die daran teilnehmen durften. Sogar
die Haustiere mussten an dieser Freude teilhaben, denn die Knechte und
Mägde taten an diesem Abend das beste Futter in die Krippen, das es auf
einem mährischen Bauernhof gab. Kurz, das ganze Dorf war auf den Beinen
und ein jeder trug nach Vermögen zum Gelingen der Veranstaltung bei.
Phantastische Mengen an Spenden in Naturalien und Geld gingen beim
Festkomitee ein. Lange ehe die Musik noch den ersten Takt anstimmte,
war der bunt geschmückte Saal bis auf das letzte Plätzchen gefüllt und
das befeuerte natürlich auch die Musik zu fleißigem und
temperamentvollem Aufspielen. Und dann ging es im Walzertakt durch den
Saal bis Mitternacht, bis zur großen Pause. Wenn dann alles gestärkt
und gesättigt war, kam der beste Walzer dran zur Damenwahl. Und der
darauf folgende Straußwalzer für die Herren trug nicht minder zur
großartigen Stimmung bei. An goldenen und silbernen Faschingsorden war
kein Mangel und lange noch erinnerten diese dann im Jahresablauf an die
damals so schön verbrachten Stunden. Getanzt wurde alles, Walzer,
Polka, Schottisch und Doppel-Ländler und sie zwangen schließlich jeden
dazu, Rock, Weste und Kragen, eines nach dem anderen abzulegen, ja auch
manches Mieder musste zur vorgerückten Stunde etwas gelockert werden,
damit man die rauschende Ballnacht überlebte. Ehe noch der Morgen
graute, wurde zum Polstertanz geblasen. Der stellte die Lachmuskeln auf
die letzte und schwerste Probe. Es war auch ein zu komischer Anblick,
wenn sich das solotanzende Paar knieend oder auf dem Boden liegend
küsste. Nachdem dies vorbei war, dämmerte allmählich der Morgen herauf
und die Älteren dachten an das Heimgehen. Sie holten Ihre Päckchen mit
Backwerk und Schaumrollen, das sie den Kindern mit nach Hause nahmen,
und verabschiedeten sich von Freunden und Bekannten herzlich. Alle
waren einer Meinung. Es musste jetzt etwas getan werden, um den arg
strapazierten Magen wieder einzurenken. Die Frau vom Atzler Raimund
holte eine große Schüssel Sulz, das fachgerecht zubereitet und gegessen
wurde. Der Wirt stellte auch noch ein kleines Faß Russen oder
Russenkraut zur Verfügung und das hat die angerichteten Schäden wieder
weitgehend behoben. So war es beim Nimlauer Feuerwehrball. Ihr erinnert
euch doch noch?
35. Kapitel
Meine lieben Landsleute! Ja, nun heißt es auf die fröhliche
Faschingslaune wieder ein Jahr vergessen. Andere Ereignisse im
Kirchenjahr drängen sich in unser Bewusstsein. Da ist zum Beispiel der
St.-Josef-Tag am 19. März, der im bäuerlichen Leben bei uns daheim eine
große Rolle spielte. Er bedeutete daheim immer den Aufbruch zur
Frühjahrsarbeit. Natürlich fand auch eine kirchliche Andacht in der
Ortskapelle statt und dabei betete das gläubige Landvolk unserer
Gemeinde inbrünstig um Gottes Segen für die bevorstehenden Arbeiten,
ganz besonders aber um gutes Gedeihen für die Saat. Ich darf hier wohl
anführen, dass dieser festliche Auftakt jeweils zum Teil von der
Gemeinde und dann auch von den Bauern Eduard Holei, Johann Indrak und
Josef Meixner organisiert wurde. Danach gingen die alten Bauern nach
alter Sitte hinaus auf die Felder. Sie suchten sich einen Platz aus,
von wo man die beste Übersicht hatte und gaben den Segen, den sie aus
den Händen des Geistlichen empfangen hatten, an alle Felder der
Gemeinde weiter. Um diese Jahreszeit lagen manchmal die Felder noch
grau und kahl da und warteten auf das Saatgut. Schon Ende Feber traf
man die notwendigen Vorkehrungen zur Vorkeimung der Frühkartoffeln.
Wieviel Sorgfalt diese Arbeit verlangte, wissen wohl die wenigsten
Olmützer Stadtleute, die dann im Juli diese Kartoffeln mit großem
Appetit verspeisten. Die Saatkartoffeln wurden in Körben in einen
warmen Raum gestellt und dann von der Bäuerin, von Knechten und Mägden
auf Gesundheit, Größe und Keimfähigkeit untersucht und sortiert,
nachdem die alten Keime abgebrochen worden waren. Die für gut
befundenen wurden in bereitgehaltene Körbe mit dem Kopf nach oben
eingelegt. Nun stellte man auch diese Körbe wieder in einen warmen,
womöglich noch verdunkeltem Raum. Nach ungefähr 14 Tagen war die
Vorkeimung beendet und nun hieß es, die Körbe mit dem Saatgut in einen
kühlen Raum zu bringen. Es ging darum, nicht lange, sondern kräftige
Keime zu entwickeln. Natürlich musste nun das Frühjahr rechtzeitig mit
günstiger Witterung einsetzen. Blieb das aus, wurden die Keime in der
Mitte des Korbes zu lang und daher unbrauchbar. Um die Mitte der
zwanziger Jahre führten die Bauern auf diesem Gebiet eine umwälzende
Neuerung ein. Man verwendete von da ab Kisten statt der Körbe, in die
die Saatkartoffeln nur in drei bis vier Lagen getan wurden. Dadurch
wurde die Vorkeimung leichter überseh- und kontrollierbar. Ende Juni
waren die Frühkartoffeln bereits auf dem Markt. Der Bauer wartete meist
schon auf den aus dem Verkauf sich ergebenden Erlös und freute sich
über den Lohn für seine Mühe bei der Aussaat.
36. Kapitel
„Christ ist erstanden!“ Könnte es eine freudigere und festlichere
Stimmung geben? Im vielstimmingen Akkord der Osterglocken klang die
frohe Botschaft alljährlich über das ganze Land. Der Sieg des Lichtes
über die Finsternis ist ein Anlaß, der die ganze Menschheit bewegt. Aus
diesem Anlaß möchte ich heuer alle Landsleute aus Nimlau, Gießhübel,
Schnobolin und Nedweis, die ja daheim eine Kirchengemeinde bildeten,
ansprechen. Wenn wir an die verlorene Heimat zurückdenken, wird uns
nämlich bei diesem Anlaß bewusst, dass wir nicht nur Haus und Hof,
Grund und Boden und alle fahrende Habe verloren haben, sondern dass uns
auch alle inneren Werte geraubt wurden, wie sie das Brauchtum unserer
Vorfahren darstellten. Seit unserer Vertreibung haben wir Ostern nicht
mehr so erleben können, wie wir es von daheim gewohnt waren. Der
Ostersonntag war wohl der Höhepunkt unseres Festes. Die Bürger aller
vier Gemeinden versammelten sich zum Kirchgang in Schnobolin. Alle,
Erwachsene wie auch die Kinder, trugen ihr bestes Gewand und es
entfaltete sich die festliche Prozession. Geführt von unserem
unvergesslichen Oberlehrer Alois Felkel kamen wir nach Schnobolin, wo
wir vom Pfarrer empfangen wurden. Mit dem von jungen Mädchen prächtig
geschmückten Kreuz, das vom Bürgermeister getragen wurde, gingen wir
unter absingen des Liede „Großer Gott, wir loben Dich“ durch das Dorf
bis in die Kirche zum Hochamt. Nachdem Hochamt versammelten sich die
Männer und die älteren Burschen im Gasthaus des Rudolf Sauer und gingen
dann von dort aus unter den Klängen altvertrauter Marschmusik heim nach
Nimlau. Beim Bürgermeister spielte die Musik ein Ständchen und einer
sprach Worte des Dankes an das Gemeindeoberhaupt für sein Wirken zum
Wohl der Gemeinde. Dann erfolgte am Kriegerdenkmal die Ehrung der
Toten, während die Musik das Lied vom guten Kameraden spielte. Vor dem
Gemeindehaus sprach der Bürgermeister zu seiner Gemeinde und bat um
weitere kameradschaftliche Zusammenarbeit.
Am Montag ging man schmeckostern. Dabei wurden die Röcke der Mädchen
und Frauen mit Ruten und Rohrstöcken geschlagen. Die Kinder zogen
durchs Dorf und sangen vor der Bäuerin: „Schöne Frau, komm laß dich
peitschen, dass dich nicht die Flöhe beißen. Gib uns Eier, gib uns
Kuchen und laß dich nicht hintern Ofen suchen!“ Am Nachmittag gings
dann zu Tante und zur Taufpatin wo die Kinder reichlich beschenkt
wurden. Die Mädchen erhielten von der Mutter oder Bäuerin die Eier, die
von den Hennen Sonntag und Montag gelegt waren und sie kochten sie auf
schnellstem Wege und versahen sie mit bunten Farben. Diese Eier
schenkten sie den Burschen und der Allerliebste bekam noch ein
Lebkuchenherz dazu. Dafür führte er sie abends zum Ostertanz ins
Gasthaus.
37. Kapitel
Ich glaube, dass es nur sehr wenigen heimatvertriebenen
Bauern gelungen ist, hier wiederum einen Hof zu bekommen und der
altgewohnten Arbeit nachzugehen. Vielmehr war der größte Teil der alten
und jungen Bauern gezwungen, eine für sie fremde Arbeit aufzunehmen.
Sie, die einst als freie Menschen auf den von ihren Vorfahren ererbten
Grundbesitz saßen, empfanden den Heimatverlust besonders schwer. Viele
unserer Landsleute hat dieses Leid in ein frühes Grab gebracht. Ganz
besonders das Frühjahr erinnert den der Scholle entfremdeten Bauer an
seine verlorene Heimat und wendet seinen Blick zurück in die
Vergangenheit. Welche Fülle von Arbeiten stürmten auf die Bauersleute
der an die Stadt Olmütz angrenzenden Gemeinden ein! Die Stadtnähe ließ
die deutschen Bauern unseres Ländchens vor allem Hackfrüchte anbauen.
Die Frauen auf dem Olmützer Wochenmarkt verlangten alle Sorten von
Gemüse, Kraut, Kohl, Gurken, Zwiebeln, Salat, Möhren, Petersilie usw.
Dieses Gemüse wurde aber auch in die nahen Städte des Odergebirges
geliefert und gerne gekauft. Ganz besonders gefragt waren immer die
Frühkartoffeln. Es war nicht immer leicht, die Käufer in der Stadt
zufriedenzustellen. Sehr oft waren es die Eisheiligen, die über Nacht
alle Hoffnung der Bauern der Olmützer Sprachinsel zunichte machten.
Aber selbst, wenn statt der Gefröste der Eisheiligen eine längere
Regenperiode einsetzte, so hatte der Bauer und Gärtler nichts zu
lachen, denn dann kam das Unkraut und überwucherte alles und die
fleißigen Hände wurden seiner nicht Herr. Da haben auch die Nimlauer
manchen Schweißtropfen vergossen, aber doch niemals resigniert. Nach
dem Regen kommt wieder die Sonne, so sagt eine alte Bauernregel und die
galt auch für uns. Wenn sie dann ein paar Tage so richtig kräftig vom
wolkenlos blauen Himmel hernieder brannte, war das ausgehackte Unkraut
bald verdorrt und die Frucht konnte wachsen und gedeihen. Man sage
nicht, dass der Bauer keinen Sinn für die Schönheiten der Natur
besessen habe. Auch er freute sich am jubelnden Lerchenlied und an dem
bunten Blumenteppich seiner Wiesen. Heute muß er das alles entbehren.
Obwohl noch hie und da einer unserer Landsleute bei der Arbeit in der
Fabrik an die Maientage in unserem Olmützer Ländchen denkt?
Zum Todestag meiner Großmutter.
Christ ist erstanden! An diesem herrlichen Ostertage ging wohl die
älteste lebende Nimlauerin in der neuen Heimat zu ihren Ahnen heim. –
Das waren die Gedanken, welche die Angehörigen der Frau Karolina Atzler
an diesem Ostersonntage hatten, als sie an ihrem Sterbebette standen.
Der Ostersonntag, das Fest der Auferstehung, war für unsere Verstorbene
der Tag ihres Heimganges. Am 16. August 1868 geboren, erlebte die
Heimgegangene viele gute und schlechte Jahre. Mit ihrem Mann, unserem
Großvater Atzler Adolf, der in der weiten Umgebung allseits bestens
beliebt und bekannt war, lebte sie einige Jahre in Gießhübel, dann in
Nimlau im Hause Nr. 30, bis sie in das Haus ihrer Mutter, der Frau
Grohmann in Nimlau 43, einzog und bis zur Vertreibung dort wohnte. Viel
Leid hat die Verstorbene in ihrem Leben erfahren und durchstehen
müssen. Am 2. Jänner 1915 starb ihre älteste Tochter; 14 Tage später
ihre jüngste Tochter, während der Ehemann, unser Großvater, im Feld
stand. Zwei blühende junge Menschenkinder, 24 und 10 Jahre alt, rissen
durch ihr frühzeitiges Ableben die ersten großen Lücken in ihr Dasein.
1922 starb ihre Mutter, eine Greisin, und 1940 ihr Mann. Zwei große
Weltkriege hat Frau Karolina Atzler überlebt und auch der schreckliche
Verlust der Heimat konnte sie in ihrem Lebenswillen nicht hemmen.
Ausgesiedelt wurde die Familie nach Kemnat, Kreis Esslingen am Neckar,
wo heute noch ihr Sohn und Enkel lebt. 1951 zog Frau Atzler zu ihrer
Tochter, Frau Kiescher, nach Schwenningen bei Donauwörth und erlebte in
dieser Gemeinde ihre schönste Geburtstagsfeier, wo sie als
Gemeindeälteste sehr geehrt wurde. Leider war ihr das dortige Klima
wenig zuträglich und der andauernde Nebel des Donautales hat ihrer
Gesundheit schwer Abbruch getan und sie konnte ihren Husten nicht los
werden. Dies war auch der Grund, dass Frau Atzler mit ihrer Tochter,
Frau Kiescher, im Mai 1961 zu ihrem Enkeln nach Sielmingen, Kreis
Esslingen/Neckar, zog.
Wieder war die Atzler-Familie vereint, doch das Glück des
Verbundenseins dauerte nur elf Monate, bis Ostersonntagabend der Tod
die langjährige Leidende von ihrer Bettlägerigkeit erlöste. Obwohl die
Beine nicht mehr recht mitwollten, schlug das gesunde Herz umso
kräftiger und ließ sie ein gesegnetes Alter von 93 Jahren und acht
Monaten erreichen. An ihrem Grabe standen am Mittwoch, den 25. April
1962, zwei Kinder, drei Enkelkinder und vier Urenkel, nebst vielen
Trauergästen. Bis kurz vor ihrem Tode war ihr Geist von erstaunlicher
Frische. Die Verstorbene konnte sich noch sehr gut an ihre früheste
Kindheit erinnern und oft erzählte sie aus jenen längst vergangenen
Zeiten. Nun hat auch sie ihre wohlverdiente Ruhe in der neuen Heimat
gefunden. Die deutsche Heimaterde sei ihr leicht! (R.K.)
38. Kapitel
Hier an dieser Stelle sei mir erlaubt, die Hand meines Vaters
zu führen, um allen Nimlauern die traurige Botschaft zu bringen. Mein
Vater Josef Hlawatsch, geb. am 14. Nov. 1900 in Nimlau, ist am Freitag,
dem 29.3.1963, in seinem jetzigen Wohnort, fern der so geliebten
Heimat, infolge eines Herzschlages plötzlich gestorben. Sein so
plötzlicher Tod hat nicht nur in seiner Familie und bei seinen
Geschwistern, sondern auch bei seinen Nimlauern und allen, die ihn
kannten, eine schmerzliche Lücke hinterlassen. Sein Bruder Edmund
sprach am Grabe die Worte: Lieber Josef, wir haben heute nicht nur
einen Vater und Bruder, sondern auch einen Teil Geschichte Nimlaus zu
Grabe getragen. Als ob der Himmel die Worte gehört hätte, teilte sich
die geschlossene Wolkendecke und die hellen Strahlen der Sonne fielen
in das Grab hinein zum letzten Gruß der irdischen Welt. Nach
vorhergegangenen Regentagen war die Sonne gleichsam ein Gotteslohn für
seine guten Taten, die er in seinem Leben vollbringen durfte. „Stumm
schläft der Sänger“ wurde daheim immer einem verstorbenen Sangesbruder
am Grabe nachgerufen. Ihm war es nicht vergönnt, da alle Sangesbrüder
weit verstreut in den Landen leben.
Voriges Jahr war es ihm noch einmal vergönnt, beim Olmützer Treffen in
Nördlingen unter seinen Nimlauern zu weilen, und alle werden sich diese
Stunden in Erinnerung rufen, wo er in fröhlicher Runde immer im
Mittelpunkt aller Freunde und Bekannten, ein Leuchten in seinen Augen
war, denn von diesen Erinnerungen schöpfte er die Kraft für sein
arbeitsreiches Leben unter fremden Menschen, wo er sich immer einsam
fühlte.
Liebe Nimlauer, der, den wir eben zur ewigen Ruhe gebettet haben, war
nicht nur allen Nimlauern, er war weit über die Grenzen unseres
Heimatdorfes hinaus wohl bekannt. Sein Leben war nach deiner Lehrzeit
als Zimmermann durch Höhen und Tiefen gezogen. Im 1. Weltkrieg mit
schweren Verletzungen, später beim tschechischen Militär, und im 2.
Weltkrieg durfte er die Schreckenszeiten gesund überleben. Auch die
Gefangenschaft in den Kohlengruben, wo er schreckliche Zeiten
durchstehen musste, nur weil er sich gegen die menschenunwürdige
Behandlung seiner Mitgefangenen auflehnte, konnte er dank seines
starken Lebenswillen gut überstehen, einschließlich der Ausweisung aus
der lieben Heimat. Im Jahre 1957 traf ihn zum erstenmal das Schicksal.
Infolge eines Herzinfarktes musste er lange Zeit seiner so geliebten
Arbeit fern bleiben, und doch hat ihm seine Willenskraft wieder die
Arbeit in die Hand gegeben, die er bis zur letzten Stunde ausüben
durfte. „Das Schicksal setzt den Hobel an und hobelt alles gleich“,
heißt es in einem Lied und so kommt es auch.
Nach der Einsegnung auf dem so schönen Waldfriedhof in
Stuttgart-Weilimdorf wurde der Verstorbene unter den Klängen eines
Posaunenchors auf dem letzten Wege geleitet, gefolgt von seiner
trauernden Familie, allen Geschwistern sowie allen Verwandten der
großen Hlawatsch-Familie und zahlreichen Nimlauern, Bekannten und
Arbeitskollegen, die ihm die letzte Ehre erweisen konnten.
Sollte mein Vater jemand in seiner Ehre gekränkt haben, so bitte ich
euch, ihm das nicht nachzutragen. Er war ein guter Mann, Vater, Bruder
und Freund und jederzeit gerecht gegen alle, die ihn kannten. Wir
wollen uns an ihn bei jeder sich bietenden Gelegenheit erinnern und ihm
so ein treues Andenken bewahren. Die letzten Grüße sendet ihm die ganze
Bevölkerung der Gemeinde Nimlau. So ist mir, als dem ältesten Sohn, die
Aufgabe zugefallen,die Geschichtsschreibung der Gemeinde Nimlau aus
meines Vaters Hände zu nehmen. Sie wird unvollendet bleiben. Alle
Nimlauer werden seine Beiträge vermissen, jedoch es denkt der Mensch
und Gott lenkt.
Hlawatsch Josef jun.
Die „Olmützer Blätter“ verloren in Lm. Hlawatsch, bis 1945
Zimmermann und Baupolier bei der Olmützer Firma Heinrich Schmidt, in
der Vertreibung in Weilimdorf bei Stuttgart lebend, einen fleißigen und
von tiefer Heimatliebe beseelten Mitarbeiter. Unermüdlich erzählte er
Monat um Monat vom leben und Treiben daheim, von den Menschen seiner
Heimatgemeinde Nimlau, von Leid und Freud, wie sie das Leben brachten.
Nun deckt auch diesen treuen Heimatsohn der kühle Rasen fern der Heimat
und mit ihm haben wir wiederum ein Stück unserer alten Heimat zu Grabe
getragen. Ehre seinem Andenken, Friede seiner Asche!
Dr. Z.